Corona-Gesetze „gut gegen Insolvenzen“? Leider … nein!

Aus aktuellem Anlaß hier die Erläuterungen zu den neuen gesetzlichen Insolvenzregeln. Die anderen Artikel des Gesetzes befassen sich u.a. mit Mieten usw. aber hier geht es ja vor allem um Insolvenzrecht. Also beschränke ich mich in diesem Beitrag darauf.

Der Einfachheit halber habe ich den Gesetzestext kopiert und kursiv hervorgehoben und füge meine Anmerkungen direkt darunter ein.

Davon unabhängig: Mit der ergänzenden Regelung wird auf sehr anschauliche Weise zusammengefaßt, was bisher galt (Geschäftsführerhaftung, Insolvenzanfechtung …). Und noch eine Regel ist glasklar: wer sowieso insolvenzreif war, wird nicht planmäßig geschützt!

Ich werde belegen, daß das Gesetz leider zum Schutz von juristischen Personen

v e r s a g t ,

also nur Einzelunternehmer schützen könnte. Das sind die wenigsten, weil selbst einfache Handwerker nicht selten „GmbH“ schicker fanden und „Steuern sparen“ wollten.

Nun aber: Zur Sache!

Artikel 1

Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz

(COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)

§1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, (1 – eingefügt von mir) wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder (2 – auch von mir eingefügt) wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 

Hier also die klare gesetzliche Fundstelle zu meiner Eingangsbehauptung: Wer schon pleite war – auch dann, wenn er es warum auch immer nicht wußte – aber diese Erkenntnis erst jetzt reifte, ist nicht geschützt. Ganz ehrlich: Ich behaupte, daß mindestens jeder fünfte Betrieb schon vor „Corona“ insolvenzreif war. Nicht bezahlte Steuern, Sozialabgaben für die Mitarbeiter im Rückstand und deren Vollstreckung, Lieferantenrechnungen, die überfällig sind – das ist nichts neues, das ist Standard. Diese Schuldner sind nicht schutzbedürftig. Die wirklich darunter fallenden Schuldner werden erst in den kommenden Wochen zutage treten.

War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und (2 – wie vorher von mir eingefügt) Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Das hier ist ein juristischer Kniff: Die brüske Aussage aus dem vorhergehenden Satz wird relativiert, indem der Gesetzgeber eine schützende Vermutung einführt. „Vermutung“ hat nichts mit „Raten“ (also Unsicherheit über Tatsachen) zu tun, sondern bedeutet eine Beweisregel: Weist der Schuldner nach, daß er am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war, darf er ohne weiteres für sich die Schutznorm des ersten Satzes in Anspruch nehmen.

Hört sich erst einmal gut an, oder? ist doch auch genau das, was verhindert werden soll: sowieso schon fertige Schuldner sollen sich nicht zu Unrecht eines besonderes Schutzes bedienen, um weiter herumzumurksen, alle anderen (redlichen und unverschuldet in die Krise geratenen) sollen verschont werden.

Ist es aber nicht! Die Beweislast trifft den Schuldner. Er MUSS also den Beweis führen, daß er am 31.12.2019 zahlungsfähig war. So steht es da richtig gelesen.

Wie führt man den Beweis? Durch eine vollständige, aktuelle und richtige Buchhaltung, in der alle Forderungen und Verbindlichkeiten betraglich korrekt erfaßt sind. Sollte man meinen. So falsch kann man liegen! ZUSÄTZLICH muß bei allen Verbindlichkeiten die Fälligkeit aufgeführt werden – das fehlt in der Buchhaltung. Warum dieser Umstand? Weil im Gesetz (genau: § 17 Abs. 2 InsO) steht: Zahlungsunfähig ist, wer seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllt. An sich und für die kleinen Betriebe ist das einfach: Nach § 271 BGB ist im Zweifel (!!) anzunehmen, daß alles sofort fällig ist.

Das stimmt aber immer dann nicht, wenn die Fälligkeit aufgeschoben wird. Großkunden verlangen das gerne und vereinbaren z. B. „Zahlungsziel 90 Tage ab Eintreffen der Ware“. Da ist die Rechnung schon einzubuchen, aber die Fälligkeit ist noch nicht eingetreten. Das gilt z. B. auch für nachschüssig zu gewährende Boni oder Ähnliches, die entstehen während der Rechnungsperiode, werden aber erst später fällig. Boni sind in der Buchhaltung zu erfassen (als Rückstellung), aber deren Fälligkeit fehlt.

Das wird gerne übersehen: Hier ist eine ZWEITE BEWEISREGEL (deswegen habe ich sie im Gesetzestext nummeriert!) eingeführt: der Schuldner muß NICHT ZUSÄTZLICH belegen, daß Aussichten darauf bestehen, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (Achtung: nur die, die nach dem 31.12.2019 eingetreten ist, vorher schon eingetretene bedeutet schon per se das Ende aller Privilegien nach diesem Gesetz).

Das ist ausnahmsweise hilfreich. Zum einen sind die Anforderungen an diesen Nachweis nicht klar. Wären das dieselben wie bisher bei einem Sanierungsgutachten, dann ist der Umfang der Darlegungen illusorisch hoch: eine Planrechnung mit kalkulierten Liquiditätsüberschüssen zur Herleitung zukünftiger Zahlungsfähigkeit sind aufwendig und müssen vor allem mehrere unterschiedliche Abläufe berechnen und dann pflichtgemäß Wahrscheinlichkeiten daraus bilden. Im Ernst? Die Bude brennt und der Schuldner soll sich nun ins stille Kämmerlein zurückziehen und wilde Spekulationen über erwartbare Zukunftsverläufe anstellen? Wo keiner abschätzen kann, ob und wenn ja wann „die Konjunktur“ sich besinnt?

Da hat der Gesetzgeber geschaltet: Von dieser Moleste wird der Schuldner befreit, zu seinen Gunsten wird eine Vermutung eingeführt.

Das kommt davon, wenn alle schnell nicken und alle alles toll finden – dann ist’s meist gerade nicht so gekommen wie gewollt!

GANZ WICHTIG:

 

Wir betrachten hier immer nur die

Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t  im Sinne von § 17 InsO.

Es gibt einen zweiten, viel gemeineren und hinter den Kulissen wirkenden Insolvenzgrund. Die Ü b e r s c h u l d u n g  nach § 19 InsO. Diese heimtückische Krankheit hat nach meiner Schätzung schon „vor Corona“ mindestens ein Drittel aller Unternehmen befallen. Weil sie sich aber nicht unmittelbar auswirkt, infiziert sie im Stillen den Schuldner. Kein Gerichtsvollzieher deswegen kommt und verlangt etwas, anders als bei fälligen Zahlungen. Das tut nicht weh, das ist aber tödlich.

Eines aber gilt immer und das muß hier eingeworfen : Menschen können nicht überschuldet sein. und wenn Zwegat und Konsorten oder auch sogenannte „Verbrauchermagazine“ oder Wirtschaftsweise (X % aller „Haushalte in Deutschland überschuldet“) das hundertmal falsch in die Kamera kundtun: Nur juristische Personen sind überschuldungsfähig. Punkt. Alles andere ist pleite, aber die gesetzliche Definition ist eindeutig.

ABER: Hier gibt es für diese juristischen Personen

k e i n e r l e i   E r l e i c h t e r u n g !

Null, nichts!

Und jetzt mal ernsthaft:

Die Zahlungsunfähigkeit ist das letzte Alarmsignal eines wirtschaftlich sterbenden Körpers. Die „aufzuschieben“ und dann auch noch komplizierte Untersuchungen zu fordern, ist weder hilfreich noch praxisnah. Das ist für juristische Personen politische Kulissenschieberei zur Beruhigung, nicht mehr und nicht weniger. Deren Überschuldung als weiter geltender Insolvenzgrund nimmt auf Fälligkeit nämlich gar keine Rücksicht!

Beispiel: Eine GmbH steht schlecht am 31.12.2019. Es langt gerade noch so, um die fälligen Zahlungen zu leisten, aber Barreserven bestehen keine. Wegen Wertberichtigungen in der Bilanz und zuvor unglücklichem Geschäftsverlauf ist die Bilanz schon seit Jahren „negativ“, also die Verbindlichkeiten höher als das Aktivvermögen, das Eigenkapital ist negativ. Jetzt kommt Corona auch noch dazwischen. Immerhin: Man kann mit dem Vermieter vereinbaren, daß die Miete erst ab Juni wieder zu zahlen ist und die Bank gewährt Stundung bei den Zinsen bis September.

Das ändert vielleicht etwas an der Zahlungsunfähigkeit, weil Miete und Zinsen derzeit nicht fällig sind. Aber an der Überschuldung ändert das exakt gar nichts, weil auch schon entstandene, aber noch nicht fällige Verbindlichkeiten in die Bilanz gehören. Entweder sind sie Verbindlichkeiten oder Rückstellungen, so oder so bleibt die Überschuldung.

Bei juristischen Personen (GmbHs, KGs, AGs usw.) geht Zahlungsunfähigkeit IMMER Hand in Hand mit Überschuldung. es gibt keinen Schuldner auf der ganzen Welt, der nur zahlungsunfähig ist. er ist IMMER auch überschuldet. Die AUGENWISCHEREI ist damit klar: Was nützt es denn, wenn ich wegen eines von zwei Gründen nicht mehr Insolvenz beantragen muß, sicher aber wegen des weiterhin geltenden zweiten Grundes? Das ist gesetzgeberischer Totalkrampf und ein völlig Ausfall.

Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

Das ist wieder akademischer Unsinn: Diese Regelung habe ich in 20 Jahren seit Einführung der Insolvenzordnung noch nie gebraucht, das kann weg! Da hätte einfache richterliche Rechtsfortbildung gereicht statt schwer verständlicher Kost.

 

§2 Folgen der Aussetzung

(1) Soweit nach § 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist,

1. gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, des § 92 Absatz 2 Satz 2 des Aktiengesetzes, des § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und des § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes vereinbar;

2. gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, 

Das habe ich ja zweimal lesen müssen: Man darf ungestraft der juristischen  Person in die Kasse greifen??

Da ist eine falsche Annahme!

Richtig ist: Das darf man dann und nur dann, wenn die Voraussetzungen aus § 1 vorliegen (was – wie dort nachgewiesen – für juristische Personen völlig bedeutungslos ist). Also darf man’s de facto nach wie vor nicht, denn im wirklichen Leben wird keine juristische Person wird die Voraussetzungen des § 1 erfüllen, sondern immer auch überschuldet sein..

Immerhin ist es aber in der Theorie konsequent:

Damit nicht die Gesellschafter wegen der Darlehen, die sie entweder selber oder über eine Bank in die „Firma“ gesteckt haben oder wegen z.B. ausbleibender Mieten für das Betriebsgrundstück in Schieflage kommen, dürfen die sich weiter entsprechend bedienen und niemand wird daraus einen juristischen Vorwurf machen. WENN DIE VORAUSSETZUNGEN NACH § 1 VORLIEGEN, WAS SIE NIE TUN WERDEN!!

nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung finden insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung;

3. sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen;

4. sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt für

a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber;

b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;

c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;

d) die Verkürzung von Zahlungszielen und

e) die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

(2) Absatz 1 Nummer 2, 3 und 4 gilt auch für Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen, sowie für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind.

Das ist jetzt nicht wahr, oder? Was soll denn diese unsinnige Formulierung in Absatz 2? Ein Schuldner, der nicht zahlungsunfähig ist und nicht überschuldet, kann NIEMALS die Tatbestände der „Nummern 1 bis 4“ erfüllen.  Wie denn? Ein Schuldner, der alles bezahlt und reich genug ist, kann mit seinem Geld und sonstigen Vermögen im Rahmen sonst geltender Grenzen von Sitte und Anstand tun und lassen, was er will. Selbst wenn er später in Insolvenz fällt aus einem völlig anderen Grund: bei jeder Entnahme zugunsten  der Gesellschafter ist maßgebend, welche Vermögenslage im Zeitpunkt der Entahme bestand.

Was ist das hier also? Ein politisch veranlaßter Absatz, der etwas klarstellen soll, wo keine Unsicherheit bestand. Wer so etwas ins Gesetz schreibt, ist kein Jurist, sondern hält Fensterreden.

(3) Absatz 1 Nummer 2 und 3 gilt im Fall von Krediten, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der Covid-19-Pandemie gewährt werden, auch dann, wenn der Kredit nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr.

Tada! Der Staat hätte gerne sicher sein Geld wieder zurück und legt die Meute der mit Insolvenzanfechtung und sittenwidriger Schädigung und sonstwas an Ansprüchen drohenden potentiellen Insolvenzverwalter an die Kette.

§3 Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen

Bei zwischen dem … [einsetzen: Datum gemäß Artikel 6 Absatz 3 dieses Gesetzes] und dem … [einsetzen: Datum drei Monate nach dem Datum gemäß Artikel 6 Absatz 3 dieses Gesetzes] gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.

Das ist das Gegenereignis zu den Vermutungsregeln (ZWEI!!) in §1 dieses Gesetzes. Gläubiger können ja nichts wissen über Interna des Unternehmens. Also kriegen die quasi einen Maulkorb verpaßt und dürfen nicht zubeißen,, wenn sie wegen jüngst fällig gewordener Forderungen zubeißen wollen.

Beispiel: Ein Bauträger zahlt seinen Subunternehmer wegen Rohbauarbeiten nicht. Die Schlußrechnung datiert vom 15.03.2020. Bis zum Ende einer Frist von derzeit September 2020 darf er deswegen keinen Insolvenzantrag stellen.

Heimtückisch: er könnte den Antrag damit begründen, daß der Schuldner vor dem 01.03.2020 überschuldet war – denn er hätte in einer Zwischenbilanz zuvor die erhaltenen aber noch nicht abgerechneten Arbeiten ausweisen müssen. Und wenn er (erst) jetzt zahlungsunfähig wurde, war er vorher mindestens überschuldet. Ich warte nur darauf, daß findige Gläubigervrtreter auf diesen Kniff kommen.

§ 4 Verordnungsermächtigung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 bis höchstens zum 31. März 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.

Das sind übliche Vorratsregelungen, damit das Parlament nicht jedes mal für eine Erstreckung erneut gefragt werden muß. Aber eine Höchstgrenze für die Bewegungsfreiheit der Verwaltung gibt es dann immer – sonst wären wir ja quasi in einem Ermächtigungsgesetz.

Also: das Gemachte ist nicht gut, das Gewollte wird nicht erreicht. zu schnell, zu mangelhaft und zu praxisfremd. Das nützt niemandem.

Beispiele Geschäftsführerhaftung

Zum Jahresanfang setze ich meine kleine Reihe „Probleme der GmbH“ mit einem Horrorkabinett fort:

 

Die beiden vorherigen Beiträge befaßten sich mit der abstrakten Herleitung der Geschäftsführerhaftung und der Haftung der Gesellschafter für das Aufbringen (und Verbleiben) des in der Satzung festgelegten „Stammkapitals“ zur freien Verfügung der Gesellschaft.

 

Jetzt geht es ans Eingemachte, die Geschäftsführerhaftung in der recht simplen Fassung des § 64 GmbHG (und den zusätzliche geltenden Vorschriften) erfüllen wir mit Leben.

 

Was steht denn da in diesem ominösen § 64 GmbHG?

Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. (…)

 

Erste Feststellung:

 

Die Haftung nach dieser Norm gilt nur gegenüber der GmbH. Gläubiger können damit zunächst nichts anfangen, sie sind nicht anspruchsberechtigt. „Was soll mir denn da passieren? Gesellschafter sind doch meine Frau und ich – und wir machen das einfach nicht geltend.“

 



Problem: Ist die Gesellschaft insolvent, ist der Insolvenzverwalter der Vertreter der Gesellschaft. Er macht also die Haftungsansprüche geltend. Von der Massemehrung profitieren dann am Ende auch die Gläubiger, weil es eine höhere Quote gibt.

 

Zweite Feststellung:

 

Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sind Anknüpfungspunkte.

Achtung: Das Gesetz spricht von „Eintritt der Zahlungsunfähigkeit“ und „Feststellung der Überschuldung“.

 

Andere Wort, andere Buchstaben – das muß was anderes sein!

 

Zahlungsunfähigkeit ist definiert als „der Zeitpunkt, in dem das vorhandene und kurzfristig liquidierbare Vermögen nicht mehr ausreicht, um fällige Verbindlichkeiten rechtzeitig zu bedienen“. Der BGH konkretisiert: Sie tritt ein, wenn mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr pünktlich bedient werden können. Schuldet die GmbH also z.B. aktuell fällig 15.000 €, muß sie mindestens 13.500 € sofort flüssig machen können, sonst ist sie zahlungsunfähig.

 

Um diesen Begriff und seine konkrete Bedeutung ranken sich unzählige Entscheidungen der Gerichte. Kann sie z.B. beseitigt werden und die GmbH wieder gesund sein und später erneut zahlungsunfähig sein oder wirkt dann die erste Zahlungsunfähigkeit noch fort? Die Verästelungen sind zu vielgestaltig, um sie hier vollständig wiederzugeben.

 

Nur einen Lehrsatz kann ich nach 25 Jahren Berufserfahrung aufstellen: Sie ist viel früher da, als der Geschäftsführer denkt. Sehr viel früher. Wenn der Geschäftsführer meint, es „drohe“ Zahlungsunfähigkeit, ist sie in der Regel schon mindestens sechs Monate vorher eingetreten. Pech für den Geschäftsführer, sein Hals steckt in der Schlinge und er wippt mit der Leiter, auf der er steht!

 

Überschuldung dagegen muß „festgestellt“ werden.

 

Sofort fragt man sich: Und wer macht das, dieses „Feststellen“? Einfache Antwort: Der Geschäftsführer natürlich. Pflichtgemäß und regelmäßig. Je kritischer es steht, desto öfter. Im Zweifel wöchentlich!

Und komme mir keiner mit der Ausrede „das sollte der Steuerberater doch machen, aber der kommt ja zu nichts“. Zum einen ist die Sache nicht „delegierbar“, sondern ureigenste Hauptaufgabe des Geschäftsführers. Zum anderen sind nach meiner Erfahrung 99 % der Steuerberater überfordert, was den Überschuldung überhaupt ist. Also: An einen Ahnungslosen zu delegieren, entlastet nicht!

 

Endgültig vielvielviel zu spät ist es, wenn in der Handelsbilanz auf der linken Seite unten „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ erscheint. Ich behaupte: Dann ist es meistens Jahre zu spät.

 

Die Bilanz ist für die Feststellung bedeutungslos (und das sorgt dafür, daß kein Steuerberater noch versteht, um was es geht – die können in der Regel nur das). Stattdessen muß ein Vermögensstatus erstellt werden. Alle Aktiva der GmbH und alle Passiva zu echten Werten in einer Gegenüberstellung. Bilanzwerte sind vollkommen schnuppe, es geht ausschließlich darum, wieviel jedes Teil bringt oder nicht – Unverkäufliches ist nichts wert, auch wenn es mit Millionen in der Bilanz steht.

 

Zeitwert statt Buchwert!

 

Beispiel:

Maler Klecksel GmbH führt ein Auto mit einem Buchwert von 15.000 € und einem Zeitwert (Händler-Einkaufswert) von 5.000 € in den Büchern, Werkzeug für 2.000 €, das vielleicht noch 200 € beim Verkauf bringt, Vorräte an Farben usw. von 500 €, die alle wegzuwerfender Anbruch sind (also 0 €) und Forderungen gegen Kunden von 25.000 €. Davon sind 5.000 € wegen Mängeln streitig, 8.000 € gegen einen insolventen Bauträger wertlos und nur etwa 6.000 € noch innerhalb des Zahlungsziels.

 

Aktivseite Bilanz: 42.000 €.

 

Vermögensstatus Aktivseite: 5.200 € für Auto und Werkzeug. 6.000 € Forderungen sind noch gut, 13.000 € sind wertlos, der Rest von 6.000 € wird auf die Hälfte abgewertet, weil irgendwas nicht koscher ist (warum haben die Kunden sonst noch nicht bezahlt?): 9.000 € Forderungen plus der Rest: 14.200 € und keinen Cent mehr.



 

Auf der Passivseite wird das nicht besser: Alle Verbindlichkeiten kommen hier rein, alte und neue sowie mit Sicherheit schon zu erwartende, die nur noch nicht fällig sind.

 

Also: Lieferanten haben noch 2.500 € zu bekommen, die Löhne für den laufenden Monat sind schon halb verbraucht mit (incl. Sozialabgaben) 3.000 €, die Umsatzsteuer aus den 6.000 € Forderungen mit 1.140 € ist am 10. des Folgemonats fällig, die Bank will für die Autofinanzierung noch 10.000 € sehen.

 

Und schwups: 16.640 € sind offen. 

Überschuldung ist eingetreten!

 

Im übrigen: hier würde ich wetten, daß mit dem finanzierten Autokauf die GmbH überschuldet war. Eine substanzlose Gesellschaft erwirbt ein viel zu teures Wirtschaftsgut auf Kredit – so etwas geht nie gut.

 

Hier können wir die Diskussion um den Wertmaßstab („Fortführungswerte“ oder „Zerschlagungswerte“ – je nachdem, ob die GmbH wahrscheinlich überleben wird oder nicht und wie man auf diese Prognose kommt) weglassen. Malerbetriebe haben keine Differenz – sie sind bis auf wenige Ausnahmen alle auf diese Art unterwegs.

 

„Feststellen“ hätte das der Geschäftsführer müssen, indem er einen solchen Vermögensstatus laufend führt und regelmäßig fortschreibt. Tut keiner, weiß keiner – und am Ende ist der Geschäftsführer genau so pleite wie seine GmbH.

 

Oberschlaue wenden jetzt ein: tja, keine Feststellung getroffen, keine Überschuldung – steht doch so im Gesetz! So falsch kann man liegen: Der Geschäftsführer muß pflichtgemäß einen solchen Vermögensstatus stets führen. Tut er das nicht, haftet er für das Unterlassen. Dann stellt im Zweifel ein Sachverständiger nach Auswerten der Geschäftsunterlagen fest, wann spätestens Überschuldung pflichtgemäß hätte festgestellt werden müssen – und dieses Datum gilt dann.

In einen solchen Status das gekaufte Auto eingetragen hätte sich die Katastrophe gleich offenbart und entweder wäre man weiter ohne ausgekommen oder hätte ein billigeres gekauft – „hätte, hätte – Fahrradkette“!

 

Denn: Wie wirkt sich die Haftung gegenüber der Gesellschaft denn nun aus? Anders gesagt:

 

Was will ein insolvenzverwalter denn dann vom Geschäftsführer haben?

 

Die Zahlungen der GmbH werden seit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der erstmalig festzustellenden Überschuldung geprüft. Zu erstatten sind z.B.:

Zahlungen der Arbeitgeberbeiträge der Sozialversicherung (!!)


Kundenzahlungen auf ein im Soll geführtes Konto


Lohnzahlungen an Mitarbeiter (!!!)


Zahlungen an z.B. Steuerberater


Zahlungen an Subunternehmer


einseitig besserstellende Zahlungen an Gläubiger (z.B. Stadtwerke, um das Abstellen des Stroms zu verhindern).



 

Maßstab: nur die Zahlungen sind ungefährlich, bei denen dem Vermögen der GmbH etwas Verwertbares etwa gleichen Wertes als Ausgleich zufließt und bei Insolvenzeröffnung noch vorhanden ist. Das ist so gut wie nie der Fall!

 

Daneben haftet der Geschäftsführer bei einer zahlungsunfähigen/überschuldeten GmbH aus anderen Gründen z.B. für Lohnsteuern, nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer, aus dem Gedanken des Eingehungsbetruges und der Insolvenzverschleppung sowohl auf den Schaden durch seine fehlerhafte Geschäftsführung (dieses Mal den geschädigten Gläubigern gegenüber unmittelbar!) wie strafrechtlich. Dazu eine einfache Daumenregel z.b. des Landgerichts Mannheim:

 



„Für jede Million Schaden wird ein Jahr gesessen.“



 

Noch einmal und sehr eindringlich also die Frage:

 

Wozu eine GmbH gründen, wenn damit nichts, aber auch gar nichts einfacher oder besser wird?

 

Ach ja: Die Gesellschafter können natürlich auch wegen der mangelhaften Geschäftsführung und des dadurch verursachten Verlustes der Geschäftsanteile Ansprüche geltend machen. Als ob das vorher nicht schon reichete ….