Corona-Gesetze „gut gegen Insolvenzen“? Leider … nein!

Aus aktuellem Anlaß hier die Erläuterungen zu den neuen gesetzlichen Insolvenzregeln. Die anderen Artikel des Gesetzes befassen sich u.a. mit Mieten usw. aber hier geht es ja vor allem um Insolvenzrecht. Also beschränke ich mich in diesem Beitrag darauf.

Der Einfachheit halber habe ich den Gesetzestext kopiert und kursiv hervorgehoben und füge meine Anmerkungen direkt darunter ein.

Davon unabhängig: Mit der ergänzenden Regelung wird auf sehr anschauliche Weise zusammengefaßt, was bisher galt (Geschäftsführerhaftung, Insolvenzanfechtung …). Und noch eine Regel ist glasklar: wer sowieso insolvenzreif war, wird nicht planmäßig geschützt!

Ich werde belegen, daß das Gesetz leider zum Schutz von juristischen Personen

v e r s a g t ,

also nur Einzelunternehmer schützen könnte. Das sind die wenigsten, weil selbst einfache Handwerker nicht selten „GmbH“ schicker fanden und „Steuern sparen“ wollten.

Nun aber: Zur Sache!

Artikel 1

Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz

(COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)

§1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, (1 – eingefügt von mir) wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder (2 – auch von mir eingefügt) wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 

Hier also die klare gesetzliche Fundstelle zu meiner Eingangsbehauptung: Wer schon pleite war – auch dann, wenn er es warum auch immer nicht wußte – aber diese Erkenntnis erst jetzt reifte, ist nicht geschützt. Ganz ehrlich: Ich behaupte, daß mindestens jeder fünfte Betrieb schon vor „Corona“ insolvenzreif war. Nicht bezahlte Steuern, Sozialabgaben für die Mitarbeiter im Rückstand und deren Vollstreckung, Lieferantenrechnungen, die überfällig sind – das ist nichts neues, das ist Standard. Diese Schuldner sind nicht schutzbedürftig. Die wirklich darunter fallenden Schuldner werden erst in den kommenden Wochen zutage treten.

War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und (2 – wie vorher von mir eingefügt) Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Das hier ist ein juristischer Kniff: Die brüske Aussage aus dem vorhergehenden Satz wird relativiert, indem der Gesetzgeber eine schützende Vermutung einführt. „Vermutung“ hat nichts mit „Raten“ (also Unsicherheit über Tatsachen) zu tun, sondern bedeutet eine Beweisregel: Weist der Schuldner nach, daß er am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war, darf er ohne weiteres für sich die Schutznorm des ersten Satzes in Anspruch nehmen.

Hört sich erst einmal gut an, oder? ist doch auch genau das, was verhindert werden soll: sowieso schon fertige Schuldner sollen sich nicht zu Unrecht eines besonderes Schutzes bedienen, um weiter herumzumurksen, alle anderen (redlichen und unverschuldet in die Krise geratenen) sollen verschont werden.

Ist es aber nicht! Die Beweislast trifft den Schuldner. Er MUSS also den Beweis führen, daß er am 31.12.2019 zahlungsfähig war. So steht es da richtig gelesen.

Wie führt man den Beweis? Durch eine vollständige, aktuelle und richtige Buchhaltung, in der alle Forderungen und Verbindlichkeiten betraglich korrekt erfaßt sind. Sollte man meinen. So falsch kann man liegen! ZUSÄTZLICH muß bei allen Verbindlichkeiten die Fälligkeit aufgeführt werden – das fehlt in der Buchhaltung. Warum dieser Umstand? Weil im Gesetz (genau: § 17 Abs. 2 InsO) steht: Zahlungsunfähig ist, wer seine fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllt. An sich und für die kleinen Betriebe ist das einfach: Nach § 271 BGB ist im Zweifel (!!) anzunehmen, daß alles sofort fällig ist.

Das stimmt aber immer dann nicht, wenn die Fälligkeit aufgeschoben wird. Großkunden verlangen das gerne und vereinbaren z. B. „Zahlungsziel 90 Tage ab Eintreffen der Ware“. Da ist die Rechnung schon einzubuchen, aber die Fälligkeit ist noch nicht eingetreten. Das gilt z. B. auch für nachschüssig zu gewährende Boni oder Ähnliches, die entstehen während der Rechnungsperiode, werden aber erst später fällig. Boni sind in der Buchhaltung zu erfassen (als Rückstellung), aber deren Fälligkeit fehlt.

Das wird gerne übersehen: Hier ist eine ZWEITE BEWEISREGEL (deswegen habe ich sie im Gesetzestext nummeriert!) eingeführt: der Schuldner muß NICHT ZUSÄTZLICH belegen, daß Aussichten darauf bestehen, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (Achtung: nur die, die nach dem 31.12.2019 eingetreten ist, vorher schon eingetretene bedeutet schon per se das Ende aller Privilegien nach diesem Gesetz).

Das ist ausnahmsweise hilfreich. Zum einen sind die Anforderungen an diesen Nachweis nicht klar. Wären das dieselben wie bisher bei einem Sanierungsgutachten, dann ist der Umfang der Darlegungen illusorisch hoch: eine Planrechnung mit kalkulierten Liquiditätsüberschüssen zur Herleitung zukünftiger Zahlungsfähigkeit sind aufwendig und müssen vor allem mehrere unterschiedliche Abläufe berechnen und dann pflichtgemäß Wahrscheinlichkeiten daraus bilden. Im Ernst? Die Bude brennt und der Schuldner soll sich nun ins stille Kämmerlein zurückziehen und wilde Spekulationen über erwartbare Zukunftsverläufe anstellen? Wo keiner abschätzen kann, ob und wenn ja wann „die Konjunktur“ sich besinnt?

Da hat der Gesetzgeber geschaltet: Von dieser Moleste wird der Schuldner befreit, zu seinen Gunsten wird eine Vermutung eingeführt.

Das kommt davon, wenn alle schnell nicken und alle alles toll finden – dann ist’s meist gerade nicht so gekommen wie gewollt!

GANZ WICHTIG:

 

Wir betrachten hier immer nur die

Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t  im Sinne von § 17 InsO.

Es gibt einen zweiten, viel gemeineren und hinter den Kulissen wirkenden Insolvenzgrund. Die Ü b e r s c h u l d u n g  nach § 19 InsO. Diese heimtückische Krankheit hat nach meiner Schätzung schon „vor Corona“ mindestens ein Drittel aller Unternehmen befallen. Weil sie sich aber nicht unmittelbar auswirkt, infiziert sie im Stillen den Schuldner. Kein Gerichtsvollzieher deswegen kommt und verlangt etwas, anders als bei fälligen Zahlungen. Das tut nicht weh, das ist aber tödlich.

Eines aber gilt immer und das muß hier eingeworfen : Menschen können nicht überschuldet sein. und wenn Zwegat und Konsorten oder auch sogenannte „Verbrauchermagazine“ oder Wirtschaftsweise (X % aller „Haushalte in Deutschland überschuldet“) das hundertmal falsch in die Kamera kundtun: Nur juristische Personen sind überschuldungsfähig. Punkt. Alles andere ist pleite, aber die gesetzliche Definition ist eindeutig.

ABER: Hier gibt es für diese juristischen Personen

k e i n e r l e i   E r l e i c h t e r u n g !

Null, nichts!

Und jetzt mal ernsthaft:

Die Zahlungsunfähigkeit ist das letzte Alarmsignal eines wirtschaftlich sterbenden Körpers. Die „aufzuschieben“ und dann auch noch komplizierte Untersuchungen zu fordern, ist weder hilfreich noch praxisnah. Das ist für juristische Personen politische Kulissenschieberei zur Beruhigung, nicht mehr und nicht weniger. Deren Überschuldung als weiter geltender Insolvenzgrund nimmt auf Fälligkeit nämlich gar keine Rücksicht!

Beispiel: Eine GmbH steht schlecht am 31.12.2019. Es langt gerade noch so, um die fälligen Zahlungen zu leisten, aber Barreserven bestehen keine. Wegen Wertberichtigungen in der Bilanz und zuvor unglücklichem Geschäftsverlauf ist die Bilanz schon seit Jahren „negativ“, also die Verbindlichkeiten höher als das Aktivvermögen, das Eigenkapital ist negativ. Jetzt kommt Corona auch noch dazwischen. Immerhin: Man kann mit dem Vermieter vereinbaren, daß die Miete erst ab Juni wieder zu zahlen ist und die Bank gewährt Stundung bei den Zinsen bis September.

Das ändert vielleicht etwas an der Zahlungsunfähigkeit, weil Miete und Zinsen derzeit nicht fällig sind. Aber an der Überschuldung ändert das exakt gar nichts, weil auch schon entstandene, aber noch nicht fällige Verbindlichkeiten in die Bilanz gehören. Entweder sind sie Verbindlichkeiten oder Rückstellungen, so oder so bleibt die Überschuldung.

Bei juristischen Personen (GmbHs, KGs, AGs usw.) geht Zahlungsunfähigkeit IMMER Hand in Hand mit Überschuldung. es gibt keinen Schuldner auf der ganzen Welt, der nur zahlungsunfähig ist. er ist IMMER auch überschuldet. Die AUGENWISCHEREI ist damit klar: Was nützt es denn, wenn ich wegen eines von zwei Gründen nicht mehr Insolvenz beantragen muß, sicher aber wegen des weiterhin geltenden zweiten Grundes? Das ist gesetzgeberischer Totalkrampf und ein völlig Ausfall.

Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

Das ist wieder akademischer Unsinn: Diese Regelung habe ich in 20 Jahren seit Einführung der Insolvenzordnung noch nie gebraucht, das kann weg! Da hätte einfache richterliche Rechtsfortbildung gereicht statt schwer verständlicher Kost.

 

§2 Folgen der Aussetzung

(1) Soweit nach § 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist,

1. gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, des § 92 Absatz 2 Satz 2 des Aktiengesetzes, des § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und des § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes vereinbar;

2. gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, 

Das habe ich ja zweimal lesen müssen: Man darf ungestraft der juristischen  Person in die Kasse greifen??

Da ist eine falsche Annahme!

Richtig ist: Das darf man dann und nur dann, wenn die Voraussetzungen aus § 1 vorliegen (was – wie dort nachgewiesen – für juristische Personen völlig bedeutungslos ist). Also darf man’s de facto nach wie vor nicht, denn im wirklichen Leben wird keine juristische Person wird die Voraussetzungen des § 1 erfüllen, sondern immer auch überschuldet sein..

Immerhin ist es aber in der Theorie konsequent:

Damit nicht die Gesellschafter wegen der Darlehen, die sie entweder selber oder über eine Bank in die „Firma“ gesteckt haben oder wegen z.B. ausbleibender Mieten für das Betriebsgrundstück in Schieflage kommen, dürfen die sich weiter entsprechend bedienen und niemand wird daraus einen juristischen Vorwurf machen. WENN DIE VORAUSSETZUNGEN NACH § 1 VORLIEGEN, WAS SIE NIE TUN WERDEN!!

nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung finden insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung;

3. sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen;

4. sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt für

a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber;

b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;

c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;

d) die Verkürzung von Zahlungszielen und

e) die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

(2) Absatz 1 Nummer 2, 3 und 4 gilt auch für Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen, sowie für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind.

Das ist jetzt nicht wahr, oder? Was soll denn diese unsinnige Formulierung in Absatz 2? Ein Schuldner, der nicht zahlungsunfähig ist und nicht überschuldet, kann NIEMALS die Tatbestände der „Nummern 1 bis 4“ erfüllen.  Wie denn? Ein Schuldner, der alles bezahlt und reich genug ist, kann mit seinem Geld und sonstigen Vermögen im Rahmen sonst geltender Grenzen von Sitte und Anstand tun und lassen, was er will. Selbst wenn er später in Insolvenz fällt aus einem völlig anderen Grund: bei jeder Entnahme zugunsten  der Gesellschafter ist maßgebend, welche Vermögenslage im Zeitpunkt der Entahme bestand.

Was ist das hier also? Ein politisch veranlaßter Absatz, der etwas klarstellen soll, wo keine Unsicherheit bestand. Wer so etwas ins Gesetz schreibt, ist kein Jurist, sondern hält Fensterreden.

(3) Absatz 1 Nummer 2 und 3 gilt im Fall von Krediten, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der Covid-19-Pandemie gewährt werden, auch dann, wenn der Kredit nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr.

Tada! Der Staat hätte gerne sicher sein Geld wieder zurück und legt die Meute der mit Insolvenzanfechtung und sittenwidriger Schädigung und sonstwas an Ansprüchen drohenden potentiellen Insolvenzverwalter an die Kette.

§3 Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen

Bei zwischen dem … [einsetzen: Datum gemäß Artikel 6 Absatz 3 dieses Gesetzes] und dem … [einsetzen: Datum drei Monate nach dem Datum gemäß Artikel 6 Absatz 3 dieses Gesetzes] gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.

Das ist das Gegenereignis zu den Vermutungsregeln (ZWEI!!) in §1 dieses Gesetzes. Gläubiger können ja nichts wissen über Interna des Unternehmens. Also kriegen die quasi einen Maulkorb verpaßt und dürfen nicht zubeißen,, wenn sie wegen jüngst fällig gewordener Forderungen zubeißen wollen.

Beispiel: Ein Bauträger zahlt seinen Subunternehmer wegen Rohbauarbeiten nicht. Die Schlußrechnung datiert vom 15.03.2020. Bis zum Ende einer Frist von derzeit September 2020 darf er deswegen keinen Insolvenzantrag stellen.

Heimtückisch: er könnte den Antrag damit begründen, daß der Schuldner vor dem 01.03.2020 überschuldet war – denn er hätte in einer Zwischenbilanz zuvor die erhaltenen aber noch nicht abgerechneten Arbeiten ausweisen müssen. Und wenn er (erst) jetzt zahlungsunfähig wurde, war er vorher mindestens überschuldet. Ich warte nur darauf, daß findige Gläubigervrtreter auf diesen Kniff kommen.

§ 4 Verordnungsermächtigung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 bis höchstens zum 31. März 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.

Das sind übliche Vorratsregelungen, damit das Parlament nicht jedes mal für eine Erstreckung erneut gefragt werden muß. Aber eine Höchstgrenze für die Bewegungsfreiheit der Verwaltung gibt es dann immer – sonst wären wir ja quasi in einem Ermächtigungsgesetz.

Also: das Gemachte ist nicht gut, das Gewollte wird nicht erreicht. zu schnell, zu mangelhaft und zu praxisfremd. Das nützt niemandem.

Geschäftsführerhaftung – wie und wofür?



Im vorherigen Beitrag habe ich die Überlegungen zur gesetzlichen Ermöglichung von Kapitalgesellschaften geschildert (Aufgabe der Vollhaftung des Betriebsinhabers zugunsten der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen, interne Kontrolle durch gegenläufige Interessen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern als Absicherung).

 

Neben diesem Ausgleich in der Struktur der Kapitalgesellschaft (Kontrolle der handelnden Geschäftsführung durch die Eigeninteressen an Gewinn und Mehrwert verfolgenden Gesellschafter) haben Rechtsprechung und Gesetzgeber ein weiteres „Korrektiv“ eingezogen:

 

Die Handelnden haften auch im Außenverhältnis.

 

Vergleichsweise gnadenlos. Und: betraglich unbeschränkt!

 

Da ist er also wieder, der „vollhaftende ordentliche Kaufmann“, den man doch gerade mit der Einführung der Kapitalgesellschaft beerdigen wollte.



 

Aus Sicht des Gesetzgebers ist das raffiniert: Man kann schlichtweg eine Vielzahl an Firmen nicht permanent überwachen und bei den kleinsten Verfehlungen korrigierend eingreifen. Also muß ein Mechanismus angelegt werden, der diese „ordnende Funktion der Überwachung“ übernimmt.

 

Angst ist ein guter Antrieb dafür! Die Angst der Verantwortlichen, für Fehler mit dem gesamten Privatvermögen zu haften, wird sie von wagemutigen und unvernünftigen Entscheidungen doch abhalten, oder?

 

Funktioniert – aber versagt immer dann, wenn die riskierten Summen die Vorstellungskraft sprengen. Bankvorstände, die für zig Milliarden € haften … sind völlig schmerzbefreit, weil sich diese Summen keiner vorstellen kann und vor allem keiner in seiner Lebenszeit verdienen. Ist die Gefahr also im Vergleich zum sofort merkbaren Gewinn schier unfaßbar und unwirklich, versagt dieses System. Konsequenz im Beispielsfall: Verschärfung der Bankenaufsicht (ob ausreichend oder nicht ist dann eine politische Frage). Hinterher. Damit’s möglichst nicht nochmal (so schlimm) vorkommt.

 

Funktioniert aber bestens bei beherrschbaren Risiken, wie sie eine kleinere Unternehmung hat. Nur: Das sind (wenn es schiefgeht) unterkapitalisierte, schlecht geführte Betriebe mit einem sowieso überall verhafteten „Gesellschafter-Geschäftsführer“. Und einem nackten Mann ist schlecht in die Tasche greifen!

 

Nun aber zur Sache: Was ist das Prinzip der Geschäftsführerhaftung?

 

Keine Sorge, die Antwort ist einfach, wenn man’s ganz abstrakt sieht: Rechtsscheinshaftung. Nicht mehr und nicht weniger.

Für Juristen ist das das Einstehenmüssen für das Vorhandensein einer durch Rechtshandlungen des Haftenden hervorgerufenen Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise. Typischer Juristensatz – man versteht nur Bahnhof. Also der Reihe nach

Rechtshandlung des Haftenden

Betrifft nicht nur Geschäftsführer/Vorstände, sondern auch Gesellschafter; für die steht’s im Gesetz und heißt auf Deutsch: Wer eine haftungsbeschränkte Gesellschaft gründet, muß dafür sorgen, daß das die beschränkte Haftung erlaubende „Stammkapital“ jederzeit vorhanden ist. Fehlt es, muß er auffüllen oder zumachen.

Das Geschäft dieser Gesellschaft führt der Geschäftsführer (welch Wortspiel!). Er muß sich also permanent vergewissern, daß genau dieses Kapital vorhanden ist. Dazu führt er einen Vermögensstatus, der echte Werte und nicht bilanzgeschönte Steuertrickszahlen zugrundelegt (dazu schreibe ich noch etwas). Er muß die Gesellschafter aufmerksam machen, wenn’s knapp zu werden droht. Wenn’s knapp ist: er muß im Zweifel auch gegen den Willen der Gesellschafter Schaden verhindern und das „Zumachen“ gewaltsam herbeiführen. Das nennt sich dann im dümmsten Fall Insolvenzantrag

Überzeugung beteiligter Verkehrskreise

Im Geschäftsleben gibt es im Wesentlichen drei Gruppen von Beteiligten: Kunden, Lieferanten und andere. Die Kunden und Lieferanten sind nicht gezwungen, mit der Gesellschaft ins Geschäft zu kommen, die „anderen“ eher schon: Behörden, Finanzverwaltung, Träger der Sozialversicherung. Hört sich jetzt nicht nett an, aber Arbeitnehmer sind letzten Endes Lieferanten, die ihre Arbeit an die Gesellschaft liefern und dafür bezahlt werden.

Da muß nach dem jeweiligen „Verkehrskreis“ geschaut werden, denn seine Ansichten von der Gesellschaft sind sehr unterschiedlich und der Rechtsschein wirkt auch unterschiedlich.

Einem Kunden der Bäcker-GmbH ist es vollkommen egal, ob die Stammeinlage vorhanden ist, solange er „Ware gegen Geld“ seine Brötchen bekommt. Ihm wird auch durch Verstoß gegen den Rechtsschein kein Schaden entstehen. Anders wird’s aber schon, wenn man als Kunde Vorauskasse leistet oder langlaufende oder besonders teure Verpflichtungen begründet werden.

Beispiel 1: Kunde kauft ein Flugticket Monate vor Reiseantritt und bezahlt vorab. Airline erlebt den Reiseantritt nicht.

Beispiel 2: Kunde bestellt ein Haus bei einem Bauträger. Vor Fertigstellung ist der pleite, der Kunde hat immensen Mehraufwand und Zeitverzug zu verkraften.

Lieferanten, die eine nicht auf Barzahlungsbasis begründete Geschäftsbeziehung haben, sind ebenso daran interessiert, daß ihr Vertragspartner (die Gesellschaft) jederzeit mindestens so viel Vermögen hat, wie sie mit der Stammeinlage behauptet.

Beispiel: Arbeitnehmer arbeiten in ein „Zeitkonto“ und sparen bis zu 200 Arbeitsstunden dort an, die zunächst unbezahlt bleiben. Arbeitgeber fällt in Insolvenz.

Hier ist das Beispiel der Arbeitnehmer sehr angebracht – ich kann hieran aufzeigen, daß „gewerbliche Lieferanten“ in der Regel aus Eigenschutz Reißleinen einbauen, um schlechte Vertragspartner auszusortieren oder sich gegen Verluste anderweitig absichern.

Stichworte dazu: Eigentumsvorbehalt (Zurückholen nicht bezahlter Ware), Sperre nicht zahlender Abnehmer von weiterer Belieferung, Bürgschaften usw.

Die knallhärtesten Lieferanten, die sich gegen Ausfälle bei Gesellschaften absichern, sind die Geldlieferanten – im Volksmund „Banken“ genannt. Gnadenlos gibt’s Kredit nur gegen Sicherheit. Entweder aus dem Vermögen der Gesellschaft (Sicherungsübereignungen, Abtretungen von Forderungsaußenständen, Pfandrecht an Kontoguthaben, Grundschulden auf Immobilien) oder (was wahrscheinlich ist, weil die Gesellschaft selber zu wenig Vermögen hat) sogar aus dem Vermögen der Gesellschafter (Bürgschaften bis zu denen der Eltern und Kinder, Grundschulden, Verpfändungen von Lebensversicherungen).

Die Arbeitnehmer werden anderweitig aufgefangen: Insolvenzgeld zur Sicherung von Löhnen vor Insolvenzeröffnung, Pensionssicherungsverein zur Erhaltung von Betriebsrentenzusagen. Leider nicht mehr, so daß sie nicht selten auf Forderungen sitzen bleiben.

Am wenigsten können sich die „anderen“ wehren. Sie müssen darauf vertrauen, daß alles mit rechten Dingen zugeht und haben keine Möglichkeit der Absicherung, bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Dafür haben sie aber einen Ausgleich: Der Gesetzgeber sieht vor, daß der Geschäftsführer für Schäden haftet und erleichtert ihnen die Inanspruchnahme.

Für nicht gezahlte Lohnsteuern haftet der Geschäftsführer/Vorstand voll, ebenso für nicht gezahlte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Bei der Umsatzsteuer haftet er zwar nicht auf die ganze Summe, aber nach einer bestimmten Berechnungsmethode („Quotenschaden“ als Stichwort) dennoch mit seinem gesamten Vermögen. Schließlich bleibt natürlich die strafrechtliche Verfolgung offen (Bankrott, Betrug, Unterschlagung, Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen, Steuerverkürzung oder -hinterziehung heißen die Regeltatbestände dafür) und sein berufliches Fortkommen kann durch Gewerbeuntersagung erschwert werden.

Also: Der Geschäftsführer haftet für den Schaden, der dem jeweiligen Verkehrskreis im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft entstand.

Entlasten kann er sich nur damit, daß unvorhersehbare Ereignisse und nicht abzuschätzende schlechte Entwicklungen sich erst später zeigten und ihn deshalb keine Verantwortung treffe. Hört sich billig und einfach an, oder? Der Bundesgerichtshof hat da einen Riegel vorgeschoben, wie ihn nur Juristen finden können:

An den Entlastungsbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Maßstab ist die Sorgfalt und Vorsicht, die ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann in einem solchen Fall an den Tag gelegt hätte. Tada! Vergleichsmaßstab ist also eine nicht existierende Fiktion vom „Idealkaufmann“ – die Schlinge um den Hals des Geschäftsführers zieht sich zu …

Und jetzt nochmal:

Warum nur habe ich „eine GmbH gemacht“?

Tja – als „Gesellschafter-Geschäftsführer“ ist man auf ganzer Linie der Trottel! Für den Bankkredit ist das Familienvermögen verhaftet, Kunden und Lieferanten drängen auf Schadenersatz und am Ende kommen noch Haftungsbescheide von Finanzamt und AOK, bevor der Staatsanwalt sich meldet. 

Da hätte man auch gleich auf das „Privileg“ der Haftungsbeschränkung verzichten und als Einzelkaufmann loslegen können, oder? Oder man sammelt so viel Geld von Gesellschaftern ein, daß die Gesellschaft aus sich lebensfähig ist und die vom Gesetzgeber eingezogenen Selbstüberwachungen auch funktionieren. Dazu rät einem nur kein Steuerberater (der sich nicht selten als buchführender Steuersparmodellverkäufer betätigt statt seine Aufgaben zu erfüllen) – und die, die man dazu befragen sollte, werden zur Kostenersparnis gerade nicht hinzugezogen.

Auch (an falscher Stelle) Sparen muß man sich leisten können!