Und am Ende schuldenfrei?

So lautet die Versprechung des Gesetzes:

Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.“

Hört sich doch vielversprechend an, oder? Ist es aber manchmal nicht – und auch das sagt einem vorher keiner so richtig deutlich. Der Satz ist nämlich viel zu allgemein und (bewußt) undeutlich. Der Teufel steckt in dem Begriff „restliche Verbindlichkeiten“. Nicht definiert, diese Worte werden im Gesetz später nie wieder verwendet. Stattdessen ist von „Insolvenzforderungen“, „sonstigen Masseverbindlichkeiten“ und „Massekosten“ die Rede. Von „restlichen Verbindlichkeiten“ spricht ab § 1 Satz 2 Insolvenzordnung keiner mehr. Das führt einen an der Nase herum und ist Ursache vieler Mißverständnisse!

Ganz viel weiter hinten rückt der Gesetzgeber dann die Wahrheit heraus (und verklausuliert das so, daß es ein normaler Mensch nicht mehr versteht):

„Ist der Schuldner eine natürliche Person, so wird er nach Maßgabe der §§ 287 bis 303 von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit.“

Da liegt der Hase im Pfeffer: Aus den eben noch verheißungsvollen „restlichen Verbindlichkeiten“ werden nun magere „Verbindlichkeiten gegenüber Insolvenzgläubigern“ – und das ist meist viel weniger als gedacht!

Etwa zwei Drittel der Menschen (eine Statistik, die aussagefähig ist, kann ich als lokaler Insolvenzverwalter nicht führen) haben nach allen Verfahrensschritten sehr wohl noch „Verbindlichkeiten“. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

Verfahrenskosten („Massekosten“)

In der Mehrzahl der Verfahren reicht die Insolvenzmasse nicht, um alle Verfahrenskosten zu decken. Das Gesetz nennt diese Gruppe der Verbindlichkeiten „Massekosten“. Die werden einem nie erlassen, die müssen im Verfahren verdient werden. Auf Antrag des Schuldners übernimmt der Staat bei Menschen die Vorfinanzierung. Das ist aber kein staatliches Geschenk, sondern ein Darlehen. Am Ende aller Tage will der Staat sein Geld zurück. Zehn Jahre lang nach Verfahrensende!

In den meisten Verfahren wird also nur die Zahl der Gläubiger auf einen (den Staat) verkleinert und die Schuldensumme auf die Verfahrenskosten statt der vorherigen Gläubigerforderungen.
Ich hatte schon einen Insolvenzantrag zu bearbeiten, bei dem die Summe der Schulden niedriger war als die voraussichtlichen Verfahrenskosten – ein krasser Beratungsfehler bei Vorbereitung des Insolvenzantrages.

Weitere Schulden neu im Verfahren („sonstige Masseverbindlichkeiten“)

Wie die „Insolvenzmasse“ zur Befriedigung der Gläubiger verwendet wird, habe ich unter „Was passiert mit dem Geld?“ unter dem Kapitel „im Verfahren“ geschildert.

Hier zur Erinnerung:

Zuerst die Massekosten völlig bezahlen, dann komplett die „sonstigen Masseverbindlichkeiten“, erst dann und aus dem Rest an Geld die „Insolvenzgläubiger“ und (sehr selten) die „Nachrangigen Insolvenzgläubiger“.

Der Absatz zuvor beschreibt das Problem der ungedeckten Massekosten.

Auch die ungedeckten „sonstigen Masseverbindlichkeiten“ sind nicht zu unterschätzen!

Auch hier gilt: Sie werden einem nie erlassen, denn sie sind keine „Verbindlichkeiten gegenüber Insolvenzgläubigern“. Das kann Ihnen nicht passieren, denken Sie? Man kann sich so schnell täuschen – und dann gilt wieder „Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.“

Beispiel: Schuldner war mit einem Imbißwagen selbständig. Die Anschaffungskosten hat eine Bank finanziert gegen Sicherungsübereignung des Wagens. Im Verfahren wird der Wagen für 5.000 € plus 950 € USt. verwertet. Der Insolvenzverwalter erhält aus dem Erlös 450 € zuzüglich der 950 € Umsatzsteuer (wen’s interessiert: steht so in §§ 170 und 171 InsO). Außer diesen 1.400 € hat er nichts weiter eingenommen. Die Kosten des Insolvenzverfahrens betragen angenommen 2.000 €. Also werden die 1400 € komplett darauf gezahlt und die Umsatzsteuer gar nicht. Sie bleibt als „sonstige Masseverbindlichkeit“ offen. Restschuldbefreiung gibt es dafür nicht!
(Anmerkung: Sie verjährt aber innerhalb von vier Jahren, so daß man „noch Glück“ habenkann.)

Beispiel: Schuldner hat eine „zum Steuern sparen“ gekaufte Wohnung vor Insolvenz gekauft. Die sollte vermietet werden. Meist stand sie leer – so auch im Insolvenzverfahren. Die monatlich an die Wohnungseigentümergemeinschaft zu zahlenden Hausgelder belaufen sich nach dem Insolvenzverfahren auf 2.000 €. Einnahmen hatte der Insolvenzverwalter nicht. Die Verfahrenskosten waren gestundet und betrugen 1.500 €.
Am Ende bleiben (sofern nicht inzwischen verjährt) 3.500 € Schulden trotz „Restschuldbefreiung“!

Beispiel: wie oben, nur hat der Insolvenzverwalter die Wohnung wegen ihres unverkäuflichen Zustandes „aus der Masse freigegeben“. Das Darlehen für den Kauf betrug 50.000 €. Hausgelder laufen monatlich auf, Verfahrenskosten waren gestundet. Laufende Zinsen des Darlehens 2.000 € pro Jahr. Nach sechs Jahren Verfahrensdauer ist die Restschuldbefreiung ein Witz, denn die Hausgelder sind weiter aufgelaufen (im Zweifel aus 72 Monaten!!), das Darlehen „steht“ dank der Grundschuld und die Zinsen kommen dazu. Außerdem Verfahrenskosten. Gewonnen ist also effektiv schlicht überhaupt nichts!

Neue eigene Schulden („Neuverbindlichkeiten“)

Macht der Schuldner im Verfahren neue Schulden selber (z.B. Mietschulden, nicht gezahlte KFZ-Steuern nach Eröffnung, GEZ-Gebühren, Telefonkosten oder ähnliches), betrifft die „Restschuldbefreiung die sowieso nicht. Gerade deswegen ist es so unglaublich wichtig, VORHER seine Finanzen in den Griff zu bekommen!

Jetzt wird’s pervers

Unter „Im Verfahren“ habe ich die besonders bedeutsame Trennung zwischen „Insolvenzverfahren“ und „Restschuldbefreiungsphase“ (oder auch „Wohlerhaltensphase“) geschildert. Dabei ging es vor allem um die unterschiedlichen Rechte und Pflichten im Verfahren.

Das ist aber nicht alles, es geht auch um die Verwendung der jeweils in diesen Abschnitten zufließenden Mittel. Und da darf man sich nichts vormachen: In der Wohlverhaltensphase zufließendes Geld wird für die Verfahrenskosten und die Quote an die Insolvenzgläubiger verwendet (steht in § 292 Absatz 1 Satz 1 Insolvenzordnung). Von „sonstigen Masseverbindlichkeiten“ steht da nichts! Die bleiben also immer offen, bis sie verjähren …

Beispiel: Schuldner war während der Insolvenzverfahrens arbeitsunfähig erkrankt. Verdient hat er nichts. Sonstige Masseverbindlichkeiten betrugen 2.000 €. Massekosten von 1.500 € waren gestundet. In der Wohlverhaltensphase kommt er bald auf die Füße und verdient richtig gut. Monatlich sind 800 € pfändbar. Insgesamt fließen in dieser Zeit mehr als 35.000 € an den Treuhänder. Der bezahlt daraus die Massekosten und entnimmt seine Vergütung für die Wohlverhaltensphase, den Rest erhalten die Insolvenzgläubiger. NICHT bezahlt werden die sonstigen Masseverbindlichkeiten!

Wie unüberlegt und schier kaum überschaubar manche der gesetzlichen Regelungen sind, wird an diesem Beispiel erneut klar. Das steht so aber nach meiner Recherche nirgends deutlich und klar zu lesen, damit man sich darauf einstellen kann. Sonst kann man durchaus „an diesem System“ verzweifeln.

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