Oft ist die Antwort auf die Frage, warum man denn mit dem Insolvenzantrag oder seinen Vorbereitungen so lange gewartet habe: „Ich schäme mich so.“
Auf den ersten Blick wundert einen das. Jahrelang geht der Gerichtsvollzieher ein und aus, die „EV“ (eidesstattliche Versicherung) ist Routine geworden. Immer neue Schulden kommen dazu, neue Gläubiger bleiben unbezahlt.
Das wird zwar mit schlechtem Gewissen, aber fortgesetzt gemacht. Diese Zeit wird als unangenehm empfunden, aber das Schämen kommt erst später. Bis dahin mag es Verlegenheit sein. Die hemmt aber nicht beim Weitermachen mit etwas, das nicht funktioniert.
Das ist nicht leicht zu verstehen. Der Grund ist ja immer derselbe, nämlich die zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnisse. Was ist also der Anlaß zum Schämen?
Genau kann ich das nicht erklären. Aus vielen hundert Gesprächen mit Schuldnern und auch Schuldnerberatern hat sich ein Gedanke herauskristallisiert: Die Schulden selber sind gar nicht der Grund für das Schämen. Der einzelnen Vollstreckung kann man leicht entgegentreten, denn sie dauert nicht lange (der Gerichtsvollzieher geht nach einer Viertelstunde wieder) und danach ist alles wie vorher. Die Unannehmlichkeit ist nicht dauernd. Und sie ist auf einen einzelnen Gläubiger (nämlich den, der die Volstreckung beauftragt oder das Inkassobüro einschaltet) zurückzuführen.
Erst der Blick auf ALLE Schulden und ALLE Gläubiger zusammen führt zu Scham. Aus dem individuellen und deshalb auch leicht zu verdrängenden Konflikt mit einem Gläubiger wird das Eingeständnis, unanständig (nicht bezahlen) und erfolglos (nicht genug verdient) gewesen zu sein.
Das kann dann nicht mehr einfach verdrängt werden, sondern beherrscht auf einmal das Denken und Fühlen. Listenweise wird aus dem für beherrschbar (weil ignorierbar) kleinen Scharmützel mit einem Gläubiger die Sicht auf ein Schlachtfeld – und den verlorenen Krieg.
Das sind keine netten Bilder dazu, aber allen Besprechungen lag der Tenor zugrunde „Ich hatte lange überhaupt keine Ahnung, daß es wirklich schon so schlimm stand“. Insoweit sind die gestellten „Reality-Shows“ der Privatfernsehsender schon mit einem großen Korn Wahrheit versetzt. An die tränenreichen Szenen beim Zusammenstellen der Schulden und der Ausgaben erinnert sich jeder.
„Wenn Du etwas nicht ändern kannst, leb‘ damit und nimm’s hin!“
Scham ist eine normale menschliche Reaktion auf solche Umstände. Der Moment des Schämens wird immer irgendwann kommen und die Scham auch eine gewisse Zeit anfangs andauern. Auch auf diesen Umstand will ich hier hinweisen, damit er nicht überraschend kommt. Ist man vorbereitet, trifft auch Scham nicht so sehr und vor allem steht sie einem nicht im Weg, wenn es um eine vernünftige Lösung geht. Dann wird auch vermieden, daß sie in Ärger oder gar Wut umschlägt, weil die umfassende Vorbereitung eines Schuldenbereinigungsverfahrens auch dabei durch Information allem Unbekannten den Schrecken nimmt.
Gerade diese Umstände sollten bei einer Schuldnerberatung eine größere Rolle spielen. Die „Gewerblichen“ nehmen sich dafür keine Zeit und die Mitarbeiter der gemeinnützigen Schuldnerberatungen haben sie selten. Schade, aber nicht zu ändern.
Meine Empfehlung ist, offensiv mit dem Problem umzugehen. Freunde und Familie können sehr stark unterstützen, wenn sie rechtzeitig und vertrauensvoll hinzugezogen werden. Dabei geht es in dieser Hinsicht nicht um finanzielle Unterstützung, sondern Beistand in einer Krise. Am besten kommen die klar, die auf solche Menschen zurückgreifen können.