Im vorherigen Beitrag habe ich die Überlegungen zur gesetzlichen Ermöglichung von Kapitalgesellschaften geschildert (Aufgabe der Vollhaftung des Betriebsinhabers zugunsten der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen, interne Kontrolle durch gegenläufige Interessen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern als Absicherung).
Neben diesem Ausgleich in der Struktur der Kapitalgesellschaft (Kontrolle der handelnden Geschäftsführung durch die Eigeninteressen an Gewinn und Mehrwert verfolgenden Gesellschafter) haben Rechtsprechung und Gesetzgeber ein weiteres „Korrektiv“ eingezogen:
Die Handelnden haften auch im Außenverhältnis.
Vergleichsweise gnadenlos. Und: betraglich unbeschränkt!
Da ist er also wieder, der „vollhaftende ordentliche Kaufmann“, den man doch gerade mit der Einführung der Kapitalgesellschaft beerdigen wollte.
Aus Sicht des Gesetzgebers ist das raffiniert: Man kann schlichtweg eine Vielzahl an Firmen nicht permanent überwachen und bei den kleinsten Verfehlungen korrigierend eingreifen. Also muß ein Mechanismus angelegt werden, der diese „ordnende Funktion der Überwachung“ übernimmt.
Angst ist ein guter Antrieb dafür! Die Angst der Verantwortlichen, für Fehler mit dem gesamten Privatvermögen zu haften, wird sie von wagemutigen und unvernünftigen Entscheidungen doch abhalten, oder?
Funktioniert – aber versagt immer dann, wenn die riskierten Summen die Vorstellungskraft sprengen. Bankvorstände, die für zig Milliarden € haften … sind völlig schmerzbefreit, weil sich diese Summen keiner vorstellen kann und vor allem keiner in seiner Lebenszeit verdienen. Ist die Gefahr also im Vergleich zum sofort merkbaren Gewinn schier unfaßbar und unwirklich, versagt dieses System. Konsequenz im Beispielsfall: Verschärfung der Bankenaufsicht (ob ausreichend oder nicht ist dann eine politische Frage). Hinterher. Damit’s möglichst nicht nochmal (so schlimm) vorkommt.
Funktioniert aber bestens bei beherrschbaren Risiken, wie sie eine kleinere Unternehmung hat. Nur: Das sind (wenn es schiefgeht) unterkapitalisierte, schlecht geführte Betriebe mit einem sowieso überall verhafteten „Gesellschafter-Geschäftsführer“. Und einem nackten Mann ist schlecht in die Tasche greifen!
Nun aber zur Sache: Was ist das Prinzip der Geschäftsführerhaftung?
Keine Sorge, die Antwort ist einfach, wenn man’s ganz abstrakt sieht: Rechtsscheinshaftung. Nicht mehr und nicht weniger.
Für Juristen ist das das Einstehenmüssen für das Vorhandensein einer durch Rechtshandlungen des Haftenden hervorgerufenen Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise. Typischer Juristensatz – man versteht nur Bahnhof. Also der Reihe nach
Rechtshandlung des Haftenden
Betrifft nicht nur Geschäftsführer/Vorstände, sondern auch Gesellschafter; für die steht’s im Gesetz und heißt auf Deutsch: Wer eine haftungsbeschränkte Gesellschaft gründet, muß dafür sorgen, daß das die beschränkte Haftung erlaubende „Stammkapital“ jederzeit vorhanden ist. Fehlt es, muß er auffüllen oder zumachen.
Das Geschäft dieser Gesellschaft führt der Geschäftsführer (welch Wortspiel!). Er muß sich also permanent vergewissern, daß genau dieses Kapital vorhanden ist. Dazu führt er einen Vermögensstatus, der echte Werte und nicht bilanzgeschönte Steuertrickszahlen zugrundelegt (dazu schreibe ich noch etwas). Er muß die Gesellschafter aufmerksam machen, wenn’s knapp zu werden droht. Wenn’s knapp ist: er muß im Zweifel auch gegen den Willen der Gesellschafter Schaden verhindern und das „Zumachen“ gewaltsam herbeiführen. Das nennt sich dann im dümmsten Fall Insolvenzantrag
Überzeugung beteiligter Verkehrskreise
Im Geschäftsleben gibt es im Wesentlichen drei Gruppen von Beteiligten: Kunden, Lieferanten und andere. Die Kunden und Lieferanten sind nicht gezwungen, mit der Gesellschaft ins Geschäft zu kommen, die „anderen“ eher schon: Behörden, Finanzverwaltung, Träger der Sozialversicherung. Hört sich jetzt nicht nett an, aber Arbeitnehmer sind letzten Endes Lieferanten, die ihre Arbeit an die Gesellschaft liefern und dafür bezahlt werden.
Da muß nach dem jeweiligen „Verkehrskreis“ geschaut werden, denn seine Ansichten von der Gesellschaft sind sehr unterschiedlich und der Rechtsschein wirkt auch unterschiedlich.
Einem Kunden der Bäcker-GmbH ist es vollkommen egal, ob die Stammeinlage vorhanden ist, solange er „Ware gegen Geld“ seine Brötchen bekommt. Ihm wird auch durch Verstoß gegen den Rechtsschein kein Schaden entstehen. Anders wird’s aber schon, wenn man als Kunde Vorauskasse leistet oder langlaufende oder besonders teure Verpflichtungen begründet werden.
Beispiel 1: Kunde kauft ein Flugticket Monate vor Reiseantritt und bezahlt vorab. Airline erlebt den Reiseantritt nicht.
Beispiel 2: Kunde bestellt ein Haus bei einem Bauträger. Vor Fertigstellung ist der pleite, der Kunde hat immensen Mehraufwand und Zeitverzug zu verkraften.
Lieferanten, die eine nicht auf Barzahlungsbasis begründete Geschäftsbeziehung haben, sind ebenso daran interessiert, daß ihr Vertragspartner (die Gesellschaft) jederzeit mindestens so viel Vermögen hat, wie sie mit der Stammeinlage behauptet.
Beispiel: Arbeitnehmer arbeiten in ein „Zeitkonto“ und sparen bis zu 200 Arbeitsstunden dort an, die zunächst unbezahlt bleiben. Arbeitgeber fällt in Insolvenz.
Hier ist das Beispiel der Arbeitnehmer sehr angebracht – ich kann hieran aufzeigen, daß „gewerbliche Lieferanten“ in der Regel aus Eigenschutz Reißleinen einbauen, um schlechte Vertragspartner auszusortieren oder sich gegen Verluste anderweitig absichern.
Stichworte dazu: Eigentumsvorbehalt (Zurückholen nicht bezahlter Ware), Sperre nicht zahlender Abnehmer von weiterer Belieferung, Bürgschaften usw.
Die knallhärtesten Lieferanten, die sich gegen Ausfälle bei Gesellschaften absichern, sind die Geldlieferanten – im Volksmund „Banken“ genannt. Gnadenlos gibt’s Kredit nur gegen Sicherheit. Entweder aus dem Vermögen der Gesellschaft (Sicherungsübereignungen, Abtretungen von Forderungsaußenständen, Pfandrecht an Kontoguthaben, Grundschulden auf Immobilien) oder (was wahrscheinlich ist, weil die Gesellschaft selber zu wenig Vermögen hat) sogar aus dem Vermögen der Gesellschafter (Bürgschaften bis zu denen der Eltern und Kinder, Grundschulden, Verpfändungen von Lebensversicherungen).
Die Arbeitnehmer werden anderweitig aufgefangen: Insolvenzgeld zur Sicherung von Löhnen vor Insolvenzeröffnung, Pensionssicherungsverein zur Erhaltung von Betriebsrentenzusagen. Leider nicht mehr, so daß sie nicht selten auf Forderungen sitzen bleiben.
Am wenigsten können sich die „anderen“ wehren. Sie müssen darauf vertrauen, daß alles mit rechten Dingen zugeht und haben keine Möglichkeit der Absicherung, bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Dafür haben sie aber einen Ausgleich: Der Gesetzgeber sieht vor, daß der Geschäftsführer für Schäden haftet und erleichtert ihnen die Inanspruchnahme.
Für nicht gezahlte Lohnsteuern haftet der Geschäftsführer/Vorstand voll, ebenso für nicht gezahlte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Bei der Umsatzsteuer haftet er zwar nicht auf die ganze Summe, aber nach einer bestimmten Berechnungsmethode („Quotenschaden“ als Stichwort) dennoch mit seinem gesamten Vermögen. Schließlich bleibt natürlich die strafrechtliche Verfolgung offen (Bankrott, Betrug, Unterschlagung, Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen, Steuerverkürzung oder -hinterziehung heißen die Regeltatbestände dafür) und sein berufliches Fortkommen kann durch Gewerbeuntersagung erschwert werden.
Also: Der Geschäftsführer haftet für den Schaden, der dem jeweiligen Verkehrskreis im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft entstand.
Entlasten kann er sich nur damit, daß unvorhersehbare Ereignisse und nicht abzuschätzende schlechte Entwicklungen sich erst später zeigten und ihn deshalb keine Verantwortung treffe. Hört sich billig und einfach an, oder? Der Bundesgerichtshof hat da einen Riegel vorgeschoben, wie ihn nur Juristen finden können:
An den Entlastungsbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Maßstab ist die Sorgfalt und Vorsicht, die ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann in einem solchen Fall an den Tag gelegt hätte. Tada! Vergleichsmaßstab ist also eine nicht existierende Fiktion vom „Idealkaufmann“ – die Schlinge um den Hals des Geschäftsführers zieht sich zu …
Und jetzt nochmal: Warum nur habe ich „eine GmbH gemacht“?
Tja – als „Gesellschafter-Geschäftsführer“ ist man auf ganzer Linie der Trottel! Für den Bankkredit ist das Familienvermögen verhaftet, Kunden und Lieferanten drängen auf Schadenersatz und am Ende kommen noch Haftungsbescheide von Finanzamt und AOK, bevor der Staatsanwalt sich meldet. Da hätte man auch gleich auf das „Privileg“ der Haftungsbeschränkung verzichten und als Einzelkaufmann loslegen können, oder? Oder man sammelt so viel Geld von Gesellschaftern ein, daß die Gesellschaft aus sich lebensfähig ist und die vom Gesetzgeber eingezogenen Selbstüberwachungen auch funktionieren. Dazu rät einem nur kein Steuerberater (der sich nicht selten als buchführender Steuersparmodellverkäufer betätigt statt seine Aufgaben zu erfüllen) – und die, die man dazu befragen sollte, werden zur Kostenersparnis gerade nicht hinzugezogen.