Beispiele Geschäftsführerhaftung

Zum Jahresanfang setze ich meine kleine Reihe „Probleme der GmbH“ mit einem Horrorkabinett fort:

 

Die beiden vorherigen Beiträge befaßten sich mit der abstrakten Herleitung der Geschäftsführerhaftung und der Haftung der Gesellschafter für das Aufbringen (und Verbleiben) des in der Satzung festgelegten „Stammkapitals“ zur freien Verfügung der Gesellschaft.

 

Jetzt geht es ans Eingemachte, die Geschäftsführerhaftung in der recht simplen Fassung des § 64 GmbHG (und den zusätzliche geltenden Vorschriften) erfüllen wir mit Leben.

 

Was steht denn da in diesem ominösen § 64 GmbHG?

Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. (…)

 

Erste Feststellung:

 

Die Haftung nach dieser Norm gilt nur gegenüber der GmbH. Gläubiger können damit zunächst nichts anfangen, sie sind nicht anspruchsberechtigt. „Was soll mir denn da passieren? Gesellschafter sind doch meine Frau und ich – und wir machen das einfach nicht geltend.“

 



Problem: Ist die Gesellschaft insolvent, ist der Insolvenzverwalter der Vertreter der Gesellschaft. Er macht also die Haftungsansprüche geltend. Von der Massemehrung profitieren dann am Ende auch die Gläubiger, weil es eine höhere Quote gibt.

 

Zweite Feststellung:

 

Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sind Anknüpfungspunkte.

Achtung: Das Gesetz spricht von „Eintritt der Zahlungsunfähigkeit“ und „Feststellung der Überschuldung“.

 

Andere Wort, andere Buchstaben – das muß was anderes sein!

 

Zahlungsunfähigkeit ist definiert als „der Zeitpunkt, in dem das vorhandene und kurzfristig liquidierbare Vermögen nicht mehr ausreicht, um fällige Verbindlichkeiten rechtzeitig zu bedienen“. Der BGH konkretisiert: Sie tritt ein, wenn mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr pünktlich bedient werden können. Schuldet die GmbH also z.B. aktuell fällig 15.000 €, muß sie mindestens 13.500 € sofort flüssig machen können, sonst ist sie zahlungsunfähig.

 

Um diesen Begriff und seine konkrete Bedeutung ranken sich unzählige Entscheidungen der Gerichte. Kann sie z.B. beseitigt werden und die GmbH wieder gesund sein und später erneut zahlungsunfähig sein oder wirkt dann die erste Zahlungsunfähigkeit noch fort? Die Verästelungen sind zu vielgestaltig, um sie hier vollständig wiederzugeben.

 

Nur einen Lehrsatz kann ich nach 25 Jahren Berufserfahrung aufstellen: Sie ist viel früher da, als der Geschäftsführer denkt. Sehr viel früher. Wenn der Geschäftsführer meint, es „drohe“ Zahlungsunfähigkeit, ist sie in der Regel schon mindestens sechs Monate vorher eingetreten. Pech für den Geschäftsführer, sein Hals steckt in der Schlinge und er wippt mit der Leiter, auf der er steht!

 

Überschuldung dagegen muß „festgestellt“ werden.

 

Sofort fragt man sich: Und wer macht das, dieses „Feststellen“? Einfache Antwort: Der Geschäftsführer natürlich. Pflichtgemäß und regelmäßig. Je kritischer es steht, desto öfter. Im Zweifel wöchentlich!

Und komme mir keiner mit der Ausrede „das sollte der Steuerberater doch machen, aber der kommt ja zu nichts“. Zum einen ist die Sache nicht „delegierbar“, sondern ureigenste Hauptaufgabe des Geschäftsführers. Zum anderen sind nach meiner Erfahrung 99 % der Steuerberater überfordert, was den Überschuldung überhaupt ist. Also: An einen Ahnungslosen zu delegieren, entlastet nicht!

 

Endgültig vielvielviel zu spät ist es, wenn in der Handelsbilanz auf der linken Seite unten „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ erscheint. Ich behaupte: Dann ist es meistens Jahre zu spät.

 

Die Bilanz ist für die Feststellung bedeutungslos (und das sorgt dafür, daß kein Steuerberater noch versteht, um was es geht – die können in der Regel nur das). Stattdessen muß ein Vermögensstatus erstellt werden. Alle Aktiva der GmbH und alle Passiva zu echten Werten in einer Gegenüberstellung. Bilanzwerte sind vollkommen schnuppe, es geht ausschließlich darum, wieviel jedes Teil bringt oder nicht – Unverkäufliches ist nichts wert, auch wenn es mit Millionen in der Bilanz steht.

 

Zeitwert statt Buchwert!

 

Beispiel:

Maler Klecksel GmbH führt ein Auto mit einem Buchwert von 15.000 € und einem Zeitwert (Händler-Einkaufswert) von 5.000 € in den Büchern, Werkzeug für 2.000 €, das vielleicht noch 200 € beim Verkauf bringt, Vorräte an Farben usw. von 500 €, die alle wegzuwerfender Anbruch sind (also 0 €) und Forderungen gegen Kunden von 25.000 €. Davon sind 5.000 € wegen Mängeln streitig, 8.000 € gegen einen insolventen Bauträger wertlos und nur etwa 6.000 € noch innerhalb des Zahlungsziels.

 

Aktivseite Bilanz: 42.000 €.

 

Vermögensstatus Aktivseite: 5.200 € für Auto und Werkzeug. 6.000 € Forderungen sind noch gut, 13.000 € sind wertlos, der Rest von 6.000 € wird auf die Hälfte abgewertet, weil irgendwas nicht koscher ist (warum haben die Kunden sonst noch nicht bezahlt?): 9.000 € Forderungen plus der Rest: 14.200 € und keinen Cent mehr.



 

Auf der Passivseite wird das nicht besser: Alle Verbindlichkeiten kommen hier rein, alte und neue sowie mit Sicherheit schon zu erwartende, die nur noch nicht fällig sind.

 

Also: Lieferanten haben noch 2.500 € zu bekommen, die Löhne für den laufenden Monat sind schon halb verbraucht mit (incl. Sozialabgaben) 3.000 €, die Umsatzsteuer aus den 6.000 € Forderungen mit 1.140 € ist am 10. des Folgemonats fällig, die Bank will für die Autofinanzierung noch 10.000 € sehen.

 

Und schwups: 16.640 € sind offen. 

Überschuldung ist eingetreten!

 

Im übrigen: hier würde ich wetten, daß mit dem finanzierten Autokauf die GmbH überschuldet war. Eine substanzlose Gesellschaft erwirbt ein viel zu teures Wirtschaftsgut auf Kredit – so etwas geht nie gut.

 

Hier können wir die Diskussion um den Wertmaßstab („Fortführungswerte“ oder „Zerschlagungswerte“ – je nachdem, ob die GmbH wahrscheinlich überleben wird oder nicht und wie man auf diese Prognose kommt) weglassen. Malerbetriebe haben keine Differenz – sie sind bis auf wenige Ausnahmen alle auf diese Art unterwegs.

 

„Feststellen“ hätte das der Geschäftsführer müssen, indem er einen solchen Vermögensstatus laufend führt und regelmäßig fortschreibt. Tut keiner, weiß keiner – und am Ende ist der Geschäftsführer genau so pleite wie seine GmbH.

 

Oberschlaue wenden jetzt ein: tja, keine Feststellung getroffen, keine Überschuldung – steht doch so im Gesetz! So falsch kann man liegen: Der Geschäftsführer muß pflichtgemäß einen solchen Vermögensstatus stets führen. Tut er das nicht, haftet er für das Unterlassen. Dann stellt im Zweifel ein Sachverständiger nach Auswerten der Geschäftsunterlagen fest, wann spätestens Überschuldung pflichtgemäß hätte festgestellt werden müssen – und dieses Datum gilt dann.

In einen solchen Status das gekaufte Auto eingetragen hätte sich die Katastrophe gleich offenbart und entweder wäre man weiter ohne ausgekommen oder hätte ein billigeres gekauft – „hätte, hätte – Fahrradkette“!

 

Denn: Wie wirkt sich die Haftung gegenüber der Gesellschaft denn nun aus? Anders gesagt:

 

Was will ein insolvenzverwalter denn dann vom Geschäftsführer haben?

 

Die Zahlungen der GmbH werden seit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der erstmalig festzustellenden Überschuldung geprüft. Zu erstatten sind z.B.:

Zahlungen der Arbeitgeberbeiträge der Sozialversicherung (!!)


Kundenzahlungen auf ein im Soll geführtes Konto


Lohnzahlungen an Mitarbeiter (!!!)


Zahlungen an z.B. Steuerberater


Zahlungen an Subunternehmer


einseitig besserstellende Zahlungen an Gläubiger (z.B. Stadtwerke, um das Abstellen des Stroms zu verhindern).



 

Maßstab: nur die Zahlungen sind ungefährlich, bei denen dem Vermögen der GmbH etwas Verwertbares etwa gleichen Wertes als Ausgleich zufließt und bei Insolvenzeröffnung noch vorhanden ist. Das ist so gut wie nie der Fall!

 

Daneben haftet der Geschäftsführer bei einer zahlungsunfähigen/überschuldeten GmbH aus anderen Gründen z.B. für Lohnsteuern, nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer, aus dem Gedanken des Eingehungsbetruges und der Insolvenzverschleppung sowohl auf den Schaden durch seine fehlerhafte Geschäftsführung (dieses Mal den geschädigten Gläubigern gegenüber unmittelbar!) wie strafrechtlich. Dazu eine einfache Daumenregel z.b. des Landgerichts Mannheim:

 



„Für jede Million Schaden wird ein Jahr gesessen.“



 

Noch einmal und sehr eindringlich also die Frage:

 

Wozu eine GmbH gründen, wenn damit nichts, aber auch gar nichts einfacher oder besser wird?

 

Ach ja: Die Gesellschafter können natürlich auch wegen der mangelhaften Geschäftsführung und des dadurch verursachten Verlustes der Geschäftsanteile Ansprüche geltend machen. Als ob das vorher nicht schon reichete ….

 

Wie man Insolvenzverwalter wird – oder auch nicht

„Insolvenzverwalter“ kann man nicht lernen, das muß man „werden“.

 

Hört sich etwas beschränkt an, entspricht aber den Tatsachen. Man muß kein Jurist sein, nicht einmal Akademiker. Nur „geeignet und befähigt“.

 

Das ist ein – Juristen sind findig! – „unbestimmter Rechtsbegriff“. Bedeutet letzten Endes: Der Gesetzgeber hält sich raus und überträgt mit nichtssagenden Floskeln die Auslegung auf die „Praxis“.

 

Das kann schlau sein, weil man das Gesetz nicht alle Naselang ändern muß (dafür ändert sich die Rechtsprechung dauernd … was im Ergebnis dasselbe ist …) und Neuerungen durch „Auslegung“ auch unter alten Regeln zumindest anfangs passend behandelt werden können. Wenn’s dann zu arg wird, macht man aus der bisherigen Rechtsprechung einfach ein „Spezialgesetz“.

 

Unentschlossenheit nennt man dann „gesetzgeberische Zurückhaltung“. Vornehmer, aber letzten Endes auch dasselbe.

 

Nun hat der BGH sich damit beschäftigt, welche Kriterien denn zur Bestimmung von Eignung und Befähigung ausreichen sollen (Aktenzeichen IX AR (VZ) 2/15). Das braucht man, weil jedes Gericht eine sogenannte „Vorauswahlliste“ führt, in der potentiell als Insolvenzverwalter zu bestellende Menschen „gelistet“ sind. Steht man da nicht drauf, wird man nicht bestellt. Steht man drauf, auch nicht zwingend – aber immerhin darf man hoffen. Wer’s wird, liegt in der Regel im freien Ermessen des Richters.

 

 

Erste Feststellung:

 

Welche Kriterien für die Aufnahme auf diese Liste das genau im Einzelfall sind, legt jedes Insolvenzgericht selber fest. Dabei darf alles Mögliche herangezogen werden, solange es nur „transparent“ ist. Toll.

 

 

Zweite Feststellung:

 

Die Kriterien müssen die fehlende Klarheit des Gesetzes ersetzen, also glaskalr sein,s onst sind sie unwirksam.

 

Ein Gericht befand nun „Ortsnähe und Erreichbarkeit“ als entscheidend.

 

Selbst der BGH sagt nicht genau, was damit gemeint sein soll.

„.. es bislang nicht gelungen ist, den Merkmalen der Ortsnähe und der persönlichen Erreichbarkeit des Insolvenzverwalters vor Ort hinreichend klare Konturen zu geben. Deswegen können sie keine geeigneten generellen Eignungsvoraussetzungen für die Aufnahme eines Bewerbers in die Vorauswahlliste sein, sie spielen nur für die Ausübung des Auswahlermessens im Einzelfall eine Rolle. Denn angesichts der heutigen modernen Datenübermittlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten ist die Ortsnähe des Verwalterbüros nicht mehr ausschlaggebend, um Kontakt zum Insolvenzgericht, dem Schuldner und den Gläubigern aufzunehmen und zu halten.“

 

Weiter führt der BGH aus:

„Gerade in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines großen Unternehmens mit deutschlandweit verschiedenen Standorten und Betriebsstätten erscheint das Verlangen nach einem Bürositz in der Nähe des Insolvenzgerichts nicht mehr sachgerecht. Sind die maßgeblichen Entscheidungsträger des Schuldners und/oder der Geldgeber, die eine Sanierung des Schuldners zu finanzieren bereit sind, in der Nähe des Insolvenzgerichts gerade nicht erreichbar, macht es noch weniger Sinn, vom Verwalter zu verlangen, ein Büro in der Nähe des Insolvenzgerichts zu unterhalten und regelmäßig dort anwesend zu sein. Auch könnten Bewerber mit besonderen Spezialkenntnissen und Erfahrungen nicht in die Vorauswahlliste aufgenommen werden, wenn sie ihren Kanzleisitz weiter entfernt vom Insolvenzgericht haben. Es bestünde deswegen die Gefahr, daß zum Nachteil der Gläubiger diese Bewerber in der konkreten Auswahlentscheidung übergangen und ihre Spezialkenntnisse und Fähigkeiten dem konkreten Insolvenzverfahren vorenthalten würden. Demgegenüber kann es in Verbraucher- oder kleineren Regelinsolvenzverfahren im Einzelfall sinnvoll erscheinen, einen Insolvenzverwalter zu bestellen, der ein Büro an dem Ort unterhält, wo der mittellose Schuldner und ein Großteil seiner Gläubiger wohnen. Gerade geschäftlich nicht so gewandte Verfahrensbeteiligte benötigen eher ein Büro in der Nähe, um Unterlagen abgeben und Fragen stellen zu können.

 

Was versteckt sich dahinter?

Eine Unverschämtheit, was sonst?

 

Es gibt deutschlandweit etwa ein Dutzend „Großbüros“, das sich mit Riesenverfahren befassen kann. Da wimmelt es vor Fachkräften, Anwälten, Steuerberatern – das können hunderte Menschen sein. Sinnvoll, wenn es tatsächlich um Großverfahren geht, die teilweise weltweit abzuwickeln sind und tausende von Menschen betreffen.

 

Dann gibt es noch etwa 1000 „örtliche kleine Verwalter“. Der BGH sieht sowohl auf die wie auf „Verbraucher und kleine Regelinsolvenzverfahren“ aus seinem Olymp nachsichtig hinab und befindet, daß „geschäftlich nicht so gewandte Verfahrensbeteiligte“ es dann leichter hätten.

 

 

 

Jetzt mal ernsthaft: „Nähe für Blöde, Größe für Reiche?“

 

Das kann doch wohl nicht ernsthaft von einem obersten Bundesgericht kommen. Nähe ist auch sonst von Vorteil, denn dann kennt man sich mit örtlichen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten einfach aus Erfahrung gut aus, hat ein funktionierendes Netzwerk mit Behörden und häufig Verfahrensbeteiligten wie Krankenkassen, Bundesagentur für Arbeit, Banken usw.

 

Das wird völlig übersehen und gering geschätzt, als ob ein lokaler langjährig berufserfahrener Kollege nicht ebenfalls über „heutigen modernen Datenübermittlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten“ verfügen würde.

 

Die „verkrumpelte Logik“ des BGH ersieht man auch hier: In Verbraucher- und Kleinverfahren sind die Verfahrensbeteiligten auf ein besetztes Büro vor Ort angewiesen. Das sind der Schuldner, die Gläubiger, Vermieter, Arbeitgeber usw.

werden genau diese Leute als Gläubiger in einem Großverfahren also schlau? Wenn es da doch auf diese „Nähe zur Erleichterung“ nicht ankommt, müssen dieselben Leute also entweder schlagartig verblöden, wenn es sich um ein Kleinverfahren handelt oder sie sind automatisch bei Beteiligung an einem größeren Verfahren alle schlau geworden.

Das ist schon wirklich hanebüchen und erfordert sehr viel Chuzpe!

 

Gäbe es diese vom BGH reklamierte klare Teilung „anspruchsvollste Verfahren für überregionale Spezialisten, alles andere lokal“ in der Praxis, mag das ja sogar seine Berechtigung haben. So ist die Wirklichkeit aber nicht. Die Großbüros unternehmen alles, um die lokal ansässigen Verwalter vom Markt zu verdrängen. Sie bescheiden sich nicht mit der BGH-These, sondern setzen „lokale Vertreter“ (die weder dort wohnen, noch dort dauerhaft bleiben, sondern nur die erste Karriereleitererfahrung machen) in möglichst jedem nennenswert bedeutsamen Gerichtsbezirk. Damit greifen sie den lokal Erfahrenen die notwendige Auslastung ab und zwingen die zum Aufgeben.

 

„Da findet eine natürliche Bereinigung des Marktes statt“, heißt es dann.

 

Da ist nichts „natürlich“, das ist ein Pakt der Großverwalter mit den Gerichten und Justizministerien. Man kann die „unsichtbaren Verbindungen“ immer wieder erkennen: Richter halten Vorträge auf Anwaltsseminaren, Anwälte schreiben an Kommentaren, die von Richtern herausgegeben werden mit, „Symposien“ bei Ministerien führen Großverwalter und Richter zusammen, teilweise schreiben schon Großverwalterkanzleien Gesetzestexte für die Verwaltung.

 

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

 

Das leidige Bankkonto

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens greifen alle gesetzlichen Gestaltungen sofort. Ist man auf die Ergebnisse nicht gefaßt, ist das Heulen und Zähneknirschen groß.

Gerade bei Bankkonten (richtig: Girokonten) ist das ein ganz erhebliches Problem mit heftigen praktischen Auswirkungen. Dazu geistern teilweise abenteuerliche Vorstellungen herum, die meist falsch und zusätzlich auch noch ungeschickt sind. Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

 

1. Problem: Das Konto wird von der Bank gesperrt, die Karte eingezogen und Auszüge gibt’s auch keine mehr.

 

„Der Insolvenzverwalter soll das Konto freigeben!“ So einfach ist das leider nicht – und zeugt von Unbelecktheit, was die Rechtslage angeht.

Das Problem wurzelt in der gesetzlichen Anordnung, daß automatisch mit Insolvenzeröffnung alle Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen. Da schreibt keiner was, da kündigt keiner, die Wirkung tritt einfach automatisch ein. Giroverträge sind leider solche Geschäftsbesorgungsverträge.

Jetzt kommt „das mit der Logik“, das manche nicht begreifen wollen: etwas, das nicht mehr existiert, kann niemand mehr „freigeben“. Ein totes Pferd kann man nicht reiten.

Um es abschreckenderweise auf die Spitze zu treiben: Rechtlich muß der Bank ein Angebot zum erneuten Abschluß eines Girovertrages zu den Bedingungen wie der erloschene Vertrag gemacht werden. Das muß die Bank nicht annehmen! Sie kann auch die beendete Geschäftsverbindung für die Zukunft ablehnen – und dann muß schnell ein neues Konto her. Dabei darf das Insolvenzverfahren nicht verschwiegen werden, so daß es erhebliche Probleme bereiten kann, vor allem in eher ländlichen Gebieten noch eine willige Bank zu finden.

Abhilfe wäre dem Gesetzgeber so einfach möglich, aber er doktert lieber an völlig überflüssigen und verkomplizierten Verfahrensschritten herum, anstatt hier klarstellend einzugreifen. Eine einfache Ergänzung in § 116 InsO am Ende etwa mit folgendem Wortlaut reichte, um das Problem zu beheben:

„Hiervon ausgenommen sind Giroverträge von natürlichen Personen, die nicht zu gewerblichen Zwecken unterhalten werden.“

Stattdessen wird über die Verpflichtung der Banken zum Abschluß eines Girovertrages für ein „Guthabenkonto“ (das man also nicht überzeihen kann) nachgedacht. „Recht auf ein Konto“ läßt sich besser verkaufen als pragmatische Lösungen zu finden, leider.

 

2. Problem: Das „P-Konto“ ist kein Ausweg!

 

Wieder ist die Rechtsunkenntnis (auch bei Schuldnerberatern leider) Quell eines lästigen Mißverständnisses. Hier ist der Rat sogar kontraproduktiv und schadet!

„Richten Sie ein P-Konto ein, das ist insolvenzfest!“

So falsch kann man liegen! Und das gleich in mehrfacher Hinsicht:

Zunächst einmal: Was ist denn das nun wieder?

Ein in den Vollstreckungsvorschriften der Zivilprozeßordnung geregeltes besonderes Instrument, das erdrosselnde Dauerpfändungen des Girokontos verhindern wollte.

Normalerweise wird bei Pfändung des Guthabens auf einem Girokonto der gesamte Guthabensbetrag bis zur Höhe des Pfändungsbetrages abgezogen.

Beispiel: Guthaben 1.200 €. Pfändung über 1.500 € geht ein – Konto wird komplett abgeräumt. Bei Pfändung von 800 € wird natürlich nur dieser Betrag abgezogen, 400 € bleiben auf dem Konto.

Das ist sehr unangenehm für den Kontoinhaber. Wenn’s dumm läuft, ist er schlagartig mittellos. Sein Gehalt z.B. ist komplett „weg“ – und das im Zweifel monatelang.

Beispiel: Monatseinkommen netto 1.750 €. Pfändung über 5.000 €. Drei Monate lang würde jede Gehaltszahlung sofort an den gläubiger überwiesen.

Er muß sich jedesmal mit einem Pfändungsschutzantrag an das Vollstreckungsgericht wenden, das dann die Pfandlosigkeit eines bestimmten Betrages – ggf. auch für längere Zeit – anordnen kann.
Kompliziert, macht allen Arbeit und ist daher lästig.

Abhilfe ist die Anordnung, daß ein als „Pfändungsschutzkonto“ bezeichnetes Konto nur eingeschränkt der Zwangsvollstreckung unterliegt. Erst bei bestimmten Voraussetzungen (Überschreiten eines eingetragenen Betrages, Verbleib des Guthabens über längere Zeit) werden Zuflüsse von Pfändungen erfaßt. Der Schuldner ist nicht mittellos und durch Kontopfändungen in seiner Existenz bedroht. Nach außen behauptet wird, daß das dem Schuldnerschutz diene. Tut es auch ein bißchen, vor allem aber spart es den gerichten vermeintlich Arbeit. Die Beschließerei wird hoffentlich weniger.

Praktisch und pragmatisch im Grundsatz, im Alltag weitgehend bewährt. Aber bei Insolvenz problematisch.

„Insolvenzfest“ meint, daß die oben beschriebene Auswirkung „automatisches Ende durch Eröffnung des Verfahrens“ nicht gilt. Das ist schlicht falsch. Auch für ein Pfändungsschutzkonto gilt, daß der zugrundeliegende Girovertrag automatisch bei Insolvenzeröffnung endet. Schon ist der Rat sinnlos!

Nach Insolvenzeröffnung ist der oben beschriebene Schutz auch gar nicht mehr nötig. Einfache Erklärung: das erklärte Ziel dieses Sonderkontoform ist der Schutz vor unerträglichen Auswirkungen der Einzelzwangsvollstreckung. Die ist im eröffneten Insolvenzverfahren für alle Insolvenzgläubiger aber eh gesetzlich verboten (§ 89 InsO).

Damit ist das Unterhalten eines Pfändungsschutzkontos letzten Endes regelrecht pervers – wie wenn man mit Gummistiefeln durch die Wüste läuft: die lästigen Dinger sollen die Füße trocken halten, die in der Wüste eh nie naß werden.

Außerdem: So ein „P-Konto“ hat auch gewaltige Haken. Immer, nicht nur im Insolvenzfall. Zwei mindestens, nämlich:

Guthaben, das länger als 30 Tage stehenbleibt, wird abgezogen und an den Insolvenzverwalter  ausgekehrt. Das bekommt man auch nicht zurück, das Geld ist weg. Deshalb die eiserne Regel: P-Konto immer abräumen zum Monatsletzten!
Beispiel: P-Konto eines Alleinstehenden mit einem Freibetrag von im Moment 1.079,99 €. Monatlich gehen Rente und Zahlungen nach „Hartz IV“ (richtig: SGB II) ein, insgesamt mit Mietzuschuß 935 €. Paßt doch alles, oder?

Unser Beispielmensch ist aber sehr sparsam (was tatsächlich oft vorkommt!). Er braucht normalerweise nur 850 € im Monat und läßt das Restguthaben von 85 € stehen. Manchmal möchte er sich dann aus dieser Reserve etwas gönnen.

Das wird aber nichts, denn nach 30 Tagen wird der „stehengelassene Betrag“ pfändbar und damit sofort automatisch an den Insolvenzverwalter abgeführt. Er ist unwiederbringlich weg. Kein Antrag der Welt und kein Gerichtsbeschluß bringt dieses Geld zurück. Ausweg: Konto immer abräumen, damit das nicht passiert.

 

Als „Pfändungsschutzbetrag“ wird ein sehr niedriger Betrag eingetragen (der sogenannte Grundfreibetrag nach § 850c ZPO). Bei einem Alleinstehenden sind das derzeit 1.079,99 € jeden Monat, bei zwei Unterhaltsberechtigten wie z.B. Ehepartner und Kind sind das 1.709.99 €. Alles mehr in einem Monat zufließende Geld wird abgezogen und an den Insolvenzverwalter bezahlt. Das ist damit nicht zwingend weg, aber es macht Arbeit und kostet Schreiberei und Zeit, wieder dranzukommen.

 

Beispiel 1: P-Konto eines insolventen Familienvaters (verheiratet, ein Kind), genutzt als einziges Konto der Familie. Pfändungsfreibetrag demnach derzeit 1.709,99 €. Nettogehalt von normalerweise 1.500 € kommt laufend auf das Konto. Kindergeld auch. Alles gut, die Grenze wird nicht erreicht.

Jetzt wird Weihnachtsgeld gezahlt. Das ist bis 800 € jährlich pfandfrei und sei hier auch genau so hoch. Zahlung lautet also 2.300 € plus Kindergeld. Jetzt ist die Grenze überschritten und die Bank zieht automatisch 590 € und das Kindergeld ab und überweist das dem Insolvenzverwalter. Um so viel ist ja der Freibetrag überschritten, dann gilt die uneingeschränkte Pfändbarkeit.

Abhilfe: Nachweis, daß diese Einzahlungen ausschließlich pfandfreies Einkommen erfassen und Gelder, die gar nicht dem Schuldner gehören (Kindergeld). Antrag auf Rückerstattung (schriftlich mit Nachweisen), im Zweifel Beschluß des Insolvenzgerichts erforderlich. Tolle Wurst – Riesenrennerei und Ärger, Zeitverlust. Der Rat zum „P-Konto“ war also schlichtweg falsch.
Beispiel 2: Familie wie vorher. Das Kind stammt aus einer vorherigen Beziehung. Der Kindsvater zahlt monatlich Unterhalt von 250 €. Dieses Geld geht auf dem Familienkonto ein. Macht 1.500 € Einkommen des Familienvaters, 250 € Unterhaltszahlung plus Kindergeld. Ist so etwas dauerhaft vorhersehbar, kann mit einem schriftlichen Antrag mit Nachweisen die Freibetragsgrenze angehoben werden, im Zweifel Beschluß des Insolvenzgerichts erforderlich. Umständlich!

 

Also: Was außerhalb der Insolvenz durchaus schützt, wird im Verfahren zur unnötigen und lästigen Bürde. So etwas läßt sich bei geeigneter Beratung einfach vermeiden.

Wie tickt ein Insolvenzverwalter?

Vermintes Gebiet, ich weiß! Verwalterbashing gibt es hier nicht, das ist nicht mein Thema.

Viele Mißverständnisse sind unnötig und belasten die Abwicklung. Damit ansatzweise durch diesen Blog aufzuräumen ist mein Ziel.

Wer wird Insolvenzverwalter?

 

Jeder, der dazu geeignet ist – so sagt’s das Gesetz. In der Wirklichkeit sind das fast nur Rechtsanwälte, ein paar versprengte Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer soll es auch geben.

Da liegt das erste Mißverständnis schon auf der Hand:

Der Insolvenzverwalter ist zwar Anwalt, aber NICHT für den Schuldner da!
„Sie müssen sich kümmern, Sie sind doch mein Anwalt!“ – so falsch kann man liegen.

 

Beispiel: Ein besonders hartnäckiger Gläubiger beläastigt den Schuldner auch im eröffneten Verfahren mit Mahnschreiben. Das muß der Schuldner selber klären, der Insolvenzverwalter hilft ihm dabei nicht.

Beispiel: Es gibt ein Problem mit einem Gläubiger, der behauptet, seine Forderung beruhe auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (auf deutsch: einer Straftat). Dagegen muß sich der Schuldner selber wehren und das mit dem Gläubiger klären. Im Zweifel vor Gericht, aber nie mit dem Insolvenzverwalter.

 

Die Auswahl, wer konkret Insolvenzverwalter wird, trifft in der Regel das Insolvenzgericht. Manchmal kann sich der Schuldner einen Verwalter wünschen – das ist bei Verfahren über das Vermögen von Menschen aber so gut wie nie der Fall.

So oder so: Insolvenzverwaltung ist keine gemeinnützige Arbeit, sondern ein Geschäft wie jedes andere auch. Gewinnerzielung ist die Absicht, nicht die Verbesserung der Welt. Auch wenn manchmal ein anderer Eindruck entstehen mag …

 

Was soll der Insolvenzverwalter eigentlich tun?

 

Banale Antwort: Das verwertbare Vermögen bestmöglich versilbern in Abstimmung mit den Gläubigern. Mein Spruch dazu: „Der Insolvenzverwalter ist die personifizierte Zwangsvollstreckung – Gerichtsvollzieher, Forderungsliquidator, Grundstücksverkäufer und alles andere, was in Frage kommt.“ Glasklar, daß er offensichtlich NICHT im Interesse der Schuldner handelt, sondern ausschließlich in demjenigen der Gläubiger.

 

Wer kontrolliert den Insolvenzverwalter?

 

Das Insolvenzgericht und die Gläubiger – theoretisch. Praktisch sind die Gläubiger in nahezu allen Verfahren passiv, so daß das Gericht kontrolliert. Dabei geht’s dann vor allem um vollständige und lückenlose Buchführung und (eingeschränkt) um zweckmäßiges Vorgehen.
Stimmt etwas nicht, muß dem nachgegangen werden. Das macht das Gericht meist nicht selber, sondern ein dazu beauftragter „Sonderinsolvenzverwalter“. Riecht nach „eine Krähe hackt der andern kein Auge aus“, oder? Eher nicht – jeder Verwalter hat einen Ruf zu verlieren und letzten Endes ist es nur der, der ihm Geschäft einträgt. Falsche „Rücksicht“ gefährdet also den eigenen Erfolg in der Zukunft.

Aus der Kontrolle ergibt sich aber auch, daß manche Dinge einfach nicht „gehen“, weil damit ein persönliches Risiko für den Insolvenzverwalter verbunden ist. Das kann er eingehen, muß es aber nicht. Er haftet für seine Fehler mit seinem gesamten Vermögen. So was bremst übermäßigen Ehrgeiz schnell ein, verhindert aber auch „Entgegenkommen“. Der sichere Weg ist der gute Weg!

Beispiel: „Bitte melden Sie sich nicht bei meinem Chef, ich zahle auch das Pfändbare aufs Anderkonto ein.“ Geht nicht, die Anzeige der Insolvenzeröffnung ist zwingend vorgschrieben. Der Arbeitgeber muß abrechnen und entsprechend zahlen, davon darf nie abgewichen werden.

 

Wie verdient der Insolvenzverwalter sein Geld?

 

Bezahlt wird er aus der Insolvenzmasse. Reicht die voraussichtlich nicht, können Menschen „Kostenstundung“ beantragen, dann bevorschußt der Steuerzahler das Geld.

Faktisch bezieht er Erfolgshonorar. Je mehr Masse, desto mehr Geld. Das hält zum „geizigen Umgang mit der Masse“ und zum gründlichen Arbeiten an. Man hält dem Insolvenzverwalter also die Mohrrübe des höheren Einkommens vor die Nase, damit er besser arbeitet. Alles, was das verhindert oder erschwert, erfreut ihn logischerweise nicht. Das ist dann oft Ursache für Knatsch zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter. Naja, vielleicht etwas weniger, wenn hier viele mitlesen.

Leider nimmt das Erfolgshonorar nicht gleichmäßig zu, sondern „degressiv“: Je mehr Masse, desto relativ weniger mehr Geld. Ob das so sinnig ist oder nicht, ist erst einmal egal, denn das ist gesetzlich geregelt.

 

Beispiel: Insolvenzmasse 10.000 € – Verwaltervergütung 4.000 € (zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer). 40 %. Heftig, was?
Insolvenzmasse 1.000.000 € – Verwaltervergütung 47.750 € (zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer). 4 %. Schon nicht mehr so heftig im Vergleich …
Insolvenzmasse 10.000.000 € – Verwaltervergütung 227.750 € (zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer). 2,3 % …

 

Bei Schwierigkeiten kann das vervielfacht werden, in den Beispielen steht die „Regelvergütung“.
Davon muß er sein Büro, die Mitarbeiter, die EDV bezahlen und seinen Lebensunterhalt bestreiten. Sieht aus, als ob man davon steinreich würde, nicht? Einigen wenigen gelingt das auch, Einkommensmillionäre sind aber die absolute Ausnahme.

Denn: Die allermeisten Verfahren haben Insolvenzmassen von 10.000 € oder weniger. Eines mit mehr als 100.000 € ist schon ein Großverfahren. Die machen höchstens 5 % aller Insolvenzverfahren aus. Das Mindesthonorar beträgt 800 € (netto ohne Auslagen). Das wird in rund einem Drittel aller Verfahren verdient. Davon kann kein Insolvenzverwalter sein Büro betreiben, geschweige denn leben. Wieder packt man die Mohrrübe „dafür gibt es ja in großen Verfahren auch mehr Geld“ aus. An diese großen Verfahren kommen nur die „großen Verwalter“, die Rechnung geht also nicht auf. Zumindest für diejenigen nicht, die viele aber arme Verfahren abwickeln.

Also: In einem mit Kostenstundung eröffneten Verfahren einen Verwalter grundlos mit unnötiger Arbeit zu quälen, hebt seine Stimmung sicher nicht. Dann kann eine Zusammenarbeit mit dem Schuldner oder auch Gläubiger schnell „auf Block gehen“. Das nützt dann faktisch nicht, denn mehr Geld kommt deswegen für niemanden – nur mehr Ärger. Vorher informiert sein und vielleicht auch hier Hilfe finden spart dann Nerven und nützt allen.